Vom Scheinparlamentarismus zur Rätedemokratie

#Arbeiter und Unterdrückte aller Länder, vereint euch!

#VOM SCHEINPARLAMENTARISMUS ZUR RÄTEDEMOKRATIE

#Zentralvorstand der Kommunistischen Partei in der Schweiz
#1. Oktober 2023

[...] nirgends macht sich im Parlament der Einfluss des Kapitals so stark geltend wie [in der Schweiz]. Die Macht des Kapitals ist alles, die Börse ist alles, das Parlament, die Wahlen, das sind Marionetten, Drahtpuppen...1

Wir wussten schon, es gibt ein Ziel — die Eroberung der Macht — aber die Schweizer Arbeiterschaft begnügt sich nicht mit diesen allgemeinen Zielen, sie sucht eine klar umschriebene Parole, sie ist praktisch, sie will wissen, wozu sie in den Kampf tritt.2

Der Übergang von der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zum Kommunismus vollzieht sich unter der Diktatur des Proletariats. Zum Zwecke der Sozialisierung der Produktionsmittel, sowie aller vorhandenen Bedarfsartikel, und der völligen Unterdrückung der Bourgeoisie ist die Zertrümmerung des ganzen bourgeoisen Staatsapparates durch die Errichtung einer revolutionären Regierung der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte notwendig, da der kapitalistische Staat nicht eine Zusammenfassung aller Klassen, sondern den besonderen Unterdrückungsapparat der Bourgeoisie bildet. Die Arbeiter können die bourgeoise Staatsmaschine nicht einfach übernehmen, sondern müssen dieselbe vernichten, weil die durch die Bourgeoisie gebildeten Unterdrückungsorgane, wie Militär (Offiziere), Bürokratie, politische Polizei und so weiter niemals dem Proletariat dienen können, weil sie in ihrer ganzen organisatorischen Struktur zur Bourgeoisie gehören.3

In diesem Monat finden in der Schweiz die Eidgenössischen Wahlen statt. In diesem Monat wird das Schweizer Volk (also diejenigen von ihnen die überhaupt wahlberechtigt sind) wieder einmal an die Urnen gerufen, wie Lämmer zur Schlachtbank, um wieder einmal gegen ihre eigenen Interessen und für die Interessen ihrer Schlächter, der Kapitalisten, die sie ausbeuten, zu stimmen. Was sollen wir Kommunisten, Revolutionäre und klassenbewusste Arbeiter angesichts dieses allumfassenden Wahlzirkus, dieses totalen Propagandakriegs an allen Fronten tun? Sollen wir die Leute täuschen, indem wir uns an dieser totalen Farce beteiligen, indem wir nach Strich und Faden lügen, um Reformen zu versprechen, die wir nicht umsetzen können, während wir höchstens Lippenbekenntnisse abgeben, das Parlament für revolutionäre Agitation und Propaganda zu nutzen, wie es die Partei der Arbeit tut? Zwischen den Stühlen stehen und vage den Charakter der Wahlen kritisieren, ohne tatsächlich unter die Massen zu gehen, um mit ihnen zu arbeiten und ihnen eine Alternative anzubieten, wie es einige Anarchisten tun? Oder, viel schlimmer, versuchen, der Wahlparolen von Sozialdemokraten wie Cedric Wermuth einen revolutionären Charakter zu verleihen, indem wir so tun, als könnten sie nach links (in die Opposition!) gedrängt werden, wie es die Burschenschaft Der Funke tut, oder indem wir uns vorstellen, dass die Sozialdemokraten von innen heraus verändert werden können, wie es die Juso tut? Oder sollen wir unter die Massen gehen, uns ihre berechtigte Ablehnung des kapitalistisch-parlamentarischen Systems zu eigen machen und mit ihnen zusammenwirken, um ihre Passivität durch den aktiven Boykott zu überwinden, wie es die Kommunisten in anderen Ländern tun? Es gilt, sich zu entscheiden, und für uns ist die Entscheidung klar. Die Beteiligung an diesen Wahlen ist Betrug, die passive Enthaltung ebenso. Wir Kommunisten sind Befürworter des aktiven Boykotts der Eidgenössischen Wahlen 2023. Dieses Dokument dient dazu, diese Taktik näher zu erläutern.

#1. DIE WAHLFRAGE IN DER SCHWEIZ

#1.1. DIE WAHLFRAGE HÄNGT MIT DER FRAGE DES SOZIOÖKONOMISCHEN, STAATLICHEN UND REGIERUNGSSYSTEMS ZUSAMMEN

Der Marxismus-Leninismus-Maoismus ist der Feind jedes Dogmatismus. Wenn wir unseren Standpunkt zur Wahlfrage in der Schweiz darlegen, müssen wir in erster Linie den Marxismus nicht als Dogma, sondern als Anleitung zum Handeln verstehen, wie es Marx und Engels oft wiederholt haben. Lenin sagte zudem, dass der Kern des Marxismus die konkrete Analyse von konkreten Situation ist. Und ferner wies Mao Zedong darauf hin, dass man bei der Analyse jeder konkreten Situation mit den konkreten Tatsachen, mit den besonderen Merkmalen beginnen muss, und dass man nach der Analyse dieser Tatsachen und Merkmale dazu übergehen muss, ihre Gesetze im Rahmen der universellen Wahrheit des Marxismus darzulegen. Aus diesem Grund beginnen wir mit der konkreten Analyse der Wahlfrage in der Schweiz und nicht mit dem allgemeineren Standpunkt des Marxismus-Leninismus-Maoismus und des Leitdenkens der Partei zu dieser Frage, den wir erst später im Detail behandeln werden.

Die Wahlfrage ist im Wesentlichen die Frage, welche Haltung die Kommunisten gegenüber dem politischen Überbau einnehmen: Nehmen wir an ihm teil? Nutzen wir ihn für unsere eigenen Zwecke? Oder lehnen wir ihn ab und boykottieren ihn? Das ist eine taktische Frage, und die Antwort darauf hängt ganz von den gegebenen objektiven Bedingungen ab. Deshalb können wir keinen klaren Standpunkt bezüglich der anzuwendenden Taktik einnehmen, ohne ein klares Verständnis des sozioökonomischen Systems, des Staatssystems und des Regierungssystems in dem Land zu haben, in dem wir als Kommunisten tätig sind. Aus einem korrekten Verständnis dieser Bedingungen ergibt sich ein korrektes Verständnis unserer revolutionären Strategie, die den Rahmen für jede und alle revolutionären Taktiken bildet. Man kann keine Taktik anwenden, die der eigenen Strategie widerspricht, und die Frage der Wahltaktik ist keine Ausnahme dieser Regel.

Die sozioökonomische Basis ist zudem das, was ein entsprechendes Staats- und Regierungssystem hervorbringt, das Teil des ideologisch-politischen Überbaus ist. Ohne diesen Überbau könnte sich die sozioökonomische Basis nicht erhalten und entwickeln. Ohne die sozioökonomische Basis hätte der Überbau keine Funktion. Die beiden sind also untrennbar miteinander verbunden. Ausserdem ist das Staatssystem die Klassenherrschaft (das heisst, welche Klasse oder Klassen die Gesellschaft beherrschen) und das Regierungssystem die Organisationsform dieser Herrschaft (das heisst, entweder eine demokratische oder eine totalistische4 Regierungsform). Die drei Fragen des sozioökonomischen Systems, des Staatssystems und des Regierungssystems sind also eng miteinander verbunden und bilden die objektiven Bedingungen, auf die wir unsere Strategie und Taktik stützen müssen.

#1.2. DIE MODERNE SCHWEIZER GESELLSCHAFT IST EINE GLOBALISIERTE MONOPOLKAPITALISTISCHE GESELLSCHAFT

Mit dem Begriff «moderne Schweizer Gesellschaft» ist die Gesellschaft gemeint, die im 18. und frühen 19. Jahrhundert entstanden ist und sich mit der Eroberung der politischen Macht durch die Bourgeoisie 1847 vollends herausgebildet hat — also die kapitalistische Schweizer Gesellschaft, im Gegensatz zur Feudalgesellschaft der karolingischen, habsburgischen und altschweizerischen Epoche (etwa 536 bis 1798), zur Sklavengesellschaft der römischen Epoche (etwa 58 v.u.Z. bis 536 u.Z.) und zur primitiv-kommunalen Gesellschaft der keltischen und vorkeltischen Epoche (vor dem Jahr 58 v.u.Z.).

Die moderne Schweizer Gesellschaft entstand im 19. Jahrhundert mit dem Sieg der bourgeois-demokratischen Revolution von 1847 und der Entstehung des Freihandelskapitalismus in der Schweiz. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich dieser Kapitalismus zu einem Monopolkapitalismus, wobei unter Schweizer Verhältnissen insbesondere das Bankkapital dominierte und die Schweiz zu einem imperialistischen Land wurde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts globalisierte sich dieser Monopolkapitalismus, als das Schweizer Kapital begann, seine Produktionsmittel zu exportieren, was eine weitere Veränderung der sozioökonomischen Basis zur Folge hatte. Heute ist die moderne Schweizer Gesellschaft eine globalisierte monopolkapitalistische Gesellschaft, in der das Bankkapital dominiert.

Die moderne Schweizer Gesellschaft hat also drei historische Perioden durchlaufen, die sich jeweils in mehrere historische Phasen unterteilen lassen.

Die erste Periode der modernen Schweizer Geschichte, von 1798 bis 1891, war die Periode des Freihandelskapitalismus und der fortschrittlichen bourgeoisen Demokratie unter der Klassenherrschaft der grossen und mittleren Kapitalisten. Diese Periode kann in die folgenden Phasen unterteilt werden:

  • Die erste bourgeois-demokratische Revolution, von 1798 bis 1814.
  • Die feudale Restauration (Widerherstellung), von 1814 bis '30.
  • Die zweite bourgeois-demokratische Revolution, von 1830 bis '48.
  • Die Konsolidierung der kapitalistischen Gesellschaftsform, von 1848 bis '91.

Die zweite Periode der modernen Schweizer Geschichte, von 1891 bis 1999, war die Periode des Monopolkapitalismus, in der reaktionäre demokratisch-parlamentarische und totalistisch-absolutistische Regime das Land abwechselnd unter der Klassenherrschaft der Grosskapitalisten regierten. Dieser Zeitraum lässt sich in die folgenden Phasen unterteilen:

  • Die Entstehung des Monopolkapitalismus und das Reaktionärwerden des Parlamentarismus, von 1891 bis 1918.
  • Die Zwischenkriegszeit, der erste Versuch einer proletarischen Revolution und die erste Krise des schweizerischen Monopolkapitalismus, von 1918 bis 1939.
  • Der imperialistische Zweite Weltkrieg, die totalistische Herrschaft und die erste vorübergehende Erholung des schweizerischen Monopolkapitalismus, von 1939 bis 1953.
  • Die erste Hälfte des Kalten Krieges, der Übergang zum Scheinparlamentarismus und die weitere vorübergehende Erholung des schweizerischen Monopolkapitalismus, von 1953 bis 1970.
  • Die zweite Hälfte des Kalten Krieges, die zweite Krise des schweizerischen Monopolkapitalismus und die Durchsetzung gewisser bourgeois-demokratischer Zugeständnisse, von 1970 bis '99.

In Bezug auf die Entstehung des Monopolkapitalismus oder Imperialismus in der Schweiz ist zu erwähnen, dass, obwohl der Kolonialismus eines der Merkmale des Imperialismus im Allgemeinen ist, ein spezifisches imperialistisches Land nicht notwendigerweise Kolonien erwerben oder unterhalten muss, da es auch die Kolonien anderer imperialistischer Länder ausnutzen, interne Kolonien innerhalb seiner eigenen Grenzen unterhalten oder halbkoloniale Formen des Wirtschaftskolonialismus in nominell unabhängigen Ländern der Dritten Welt anwenden kann.

Der schweizerische Monopolkapitalismus (Imperialismus) ist unter besonderen Bedingungen entstanden. Im Gegensatz zu den Engländern, Amis, Franzosen, Deutschen oder anderen Imperialisten besassen die Schweizer Kapitalisten keine Kolonien, aus denen sie Extraprofite schöpfen konnten. Daher musste sich der Schweizer Imperialismus, um überhaupt entstehen zu können (siehe Lenins drei Kriterien und fünf Merkmale des Imperialismus in seinem Artikel Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus), in einer ausserordentlich parasitären Weise entwickeln, durch parasitäres Abzapfen von den Extraprofiten der Grossmächte. Lenin betonte:

Die imperialistischen Interessen lassen sich, wie allgemein bekannt, nicht nur durch territoriale Erwerbungen Wahrmachen, sondern auch durch finanzielle. Die schweizerische Bourgeoisie exportiert — das darf nicht übersehen werden — mindestens CHF 3'000'000'000 Kapital, beutet also zurückgebliebene Völker imperialistisch aus. Das ist Tatsache. Tatsache ist auch, dass das schweizerische Bankkapital in innigster Verbindung und Verflechtung mit dem Bankkapital der Grossmächte steht, dass die «Fremdenindustrie» in der Schweiz und so weiter die ständige Teilung des imperialistischen Reichtums zwischen den Grossmächten und der Schweiz bedeutet.5

So kam es dazu, dass das besondere Merkmal des schweizerischen Monopolkapitalismus die herausragende Stellung des Bankkapitals wurde, welches einer der Bestandteile des Finanzkapitals ist — und wie Lenin in Imperialismus, das höchste Stadium des Kapitalismus darlegte, ist das Finanzkapital, das heute gleichbedeutend mit dem Monopolkapital ist, das Produkt der Verschmelzung von Industriekapital und Bankkapital. Die Vorherrschaft des Bankkapitals im Schweizer Finanzkapital ist die ökonomische Grundlage, auf der Elemente des Überbaus wie die schweizerische «direkte Demokratie», die imperialistische «Neutralität», die «diplomatische Rolle» der Schweiz und so weiter aufgebaut sind — die ganze Gesellschaft, das Land, der Staat und so weiter sind wie eine einzige Grossbank strukturiert, die ihre eigene Stabilität und Loyalität gegenüber ihren Kunden sicherstellt, was sich von der Situation in den anderen imperialistischen Ländern deutlich unterscheidet.

Die dritte Periode der modernen Schweizer Geschichte, die 1999 begann, ist die Periode des globalisierten Monopolkapitalismus und des reaktionären bourgeois-demokratischen Pseudoparlamentarismus auf korporatistischer Basis unter der Klassenherrschaft der Grosskapitalisten. Diese Periode kann in die folgenden Phasen unterteilt werden:

  • Die Globalisierung des Schweizer Monopolkapitalismus, die zweite vorübergehende Erholung des Schweizer Monopolkapitalismus und das erneute Erstarken des Neokorporatismus, von 1999 bis 2019.
  • Die dritte Krise des Schweizer Monopolkapitalismus und die Remilitarisierung6 der Schweizer Gesellschaft, von 2019 bis heute.

Was meinen wir, wenn wir sagen, dass die moderne Schweizer Gesellschaft sich globalisiert hat? Wie der Kamerad Gonzalo, der langjährige Anführer der Kommunistischen Partei Perus, betont hat,7 besteht das Wesen der Globalisierung in der weiteren Vergesellschaftung des Charakters der Produktion unter Beibehaltung des privaten Charakters des Eigentums. Hunderte von Millionen von Menschen in der Dritten Welt, die zuvor an feudale und sklavenhalterische Produktionsverhältnisse gebunden waren, sind nun vom internationalen Kapital versklavt worden. Die Globalisierung stellt eine neue und höhere Phase des Monopolkapitalismus dar, in der die Widersprüche des Imperialismus zu ihrem logischen Abschluss gebracht werden. Dies geschieht einerseits durch «Outsourcing», das heisst, den Export der Produktionsmittel selbst, und andererseits durch «Insourcing», das heisst, den Import von Arbeitskraft. Dies führt zu einer weiteren Verschmelzung der Nationalitäten auf der ganzen Welt und schafft eine viel solidere Basis für die Einheit der Arbeiterbewegung und der nationalen Befreiungsbewegung. Gleichzeitig verschärft die Globalisierung die grundlegenden Widersprüche des Weltkapitalismus, insbesondere in Form der kapitalistischen Zerstörung des Weltklimas. Wenn der Imperialismus der Vorabend der proletarisch-sozialistischen Weltrevolution ist, dann ist die Globalisierung die Dunkelheit vor der Morgendämmerung dieser Revolution.

Die Globalisierung der Schweizer Wirtschaft begann in der bereits erwähnten dritten Periode, zwischen 1945 und '76. Im Jahr 1970 waren noch 46% der Erwerbstätigen in der Industrie beschäftigt. Während der Wirtschaftskrise der 1970er Jahre schrumpfte der Industriesektor jedoch erheblich, und der Dienstleistungssektor wurde zum wichtigsten Sektor der Schweizer Wirtschaft. Ein qualitativer Sprung in der Globalisierung der Wirtschaft wurde jedoch nicht vollzogen, was die Rezession der 1990er Jahre beweist — denn im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrtausends galt die Schweizer Wirtschaft als die schwächste in Westeuropa und schrumpfte in den Jahren 1991-93 sogar um 2%. Diese Krise motivierte die Schweizer Kapitalisten schliesslich dazu, ihre Wirtschaft zu globalisieren. In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren wurden systematisch Massnahmen zum «Outsourcing» (Verlagerung von Produktionsmitteln) und zum «Insourcing» (Zuwanderung von Arbeitskräften) ergriffen, was schliesslich dazu führte, dass die Schweizer Wirtschaft gemäss KOF 2018 als die «am zweitstärksten globalisierte Wirtschaft der Welt» (nach den Niederlanden) gilt, also als die zweitparasitärste Wirtschaft der Welt. Gemäss dem Bundesamt für Statistik werden 74% des Schweizer Bruttoinlandprodukts im Dienstleistungssektor erwirtschaftet, 25% im Industriesektor (der grösste Teil davon ist Leichtindustrie, Schwerindustrie gibt es in der Schweiz praktisch nicht) und weniger als 1% in der Landwirtschaft. Zum Vergleich: Etwa 73% der Arbeitskräfte sind im Dienstleistungssektor beschäftigt, 24% in der Industrie und 4% in der Landwirtschaft. Darüber hinaus gibt es fast keine Rohstoffgewinnung. Unter diesen Bedingungen kann man eindeutig sagen, dass die Schweiz fest in die neue Phase des Monopolkapitalismus eingetreten ist und dass dieses Land genauso mit dem Blut beschmutzt ist, das während des Globalisierungsprozesses vergossen wurde, und genauso von den der Globalisierung innewohnenden Widersprüchen durchdrungen ist wie andere westliche Länder — wenn nicht noch mehr.

#1.3. DER SCHWEIZER STAAT IST DIE KLASSENHERRSCHAFT DER GROSSKAPITALISTEN

Da die moderne Schweizer Gesellschaft eine globalisierte monopolkapitalistische Gesellschaft ist, bedeutet der moderne Schweizer Staat die Klassenherrschaft der Grosskapitalisten (das heisst, der Finanzkapitalisten, vor allem der Grossbanker, die ihren Lebensunterhalt hauptsächlich aus den Gewinnen der Monopolunternehmen beziehen). Die Grosskapitalisten regieren das Land in einer Einheitsfront mit den nicht-monopolistischen (oder mittleren) Kapitalisten (das heisst, denjenigen, die ihren Lebensunterhalt hauptsächlich aus Gewinnen aus nicht-monopolistischen Geschäften bestreiten; mit anderen Worten: die «klassischen» Kapitalisten wie man sie aus dem 19. Jahrhundert kennt), und sie versuchen bis zu einem gewissen Grad, die Interessen der Kleinkapitalisten (das heisst, derjenigen, die nicht vom reinen Profit leben, sondern auch selbst produktive Arbeit leisten müssen, obwohl sie von der Ausbeutung profitieren) und der Kleinbauern (das heisst, der ländlichen Kleinkapitalisten) zu befriedigen, obwohl die Profitinteressen der Grosskapitalisten es nicht zulassen, dass dies die Kleinkapitalisten und (insbesondere) die Kleinbauern, die zunehmend proletarisiert werden, wirklich zufrieden stellt. Das Rückgrat des Schweizer Staates — der aus der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein besteht, das objektiv der 27. Kanton des Schweizer Staates ist8 — sind Armee, Miliz und Polizei, die allesamt reaktionäre Organisationen sind und die Klassenherrschaft der Grosskapitalisten stützen und schützen. Die schaffende Bevölkerung hingegen hat in diesem Land keine politische Macht und wird von diesem Staat unterdrückt. Wenn sie ihre Ausbeutung durch die Monopolkapitalisten beenden und den Planeten, auf dem sie leben, vor der kapitalistischen Zerstörung unseres Klimas retten wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich zu erheben, zu den Waffen zu greifen und diesen alten Staat mit revolutionärer Gewalt zu stürzen, um einen neuen Staat zu errichten, der von ihnen selbst regiert wird.

#1.4. DAS SCHWEIZER REGIERUNGSSYSTEM IST REAKTIONÄR UND SCHEINPARLAMENTARISCH

Da der Schweizer Staat die Klassenherrschaft der Grosskapitalisten verkörpert, ist das Schweizer Regierungssystem kapitalistischer (oder bourgeoiser) Natur. Heute nimmt es die reaktionäre bourgeois-demokratische Form eines scheinparlamentarischen Systems an.

Das schweizerische Regierungssystem war ursprünglich ein radikal bourgeois-demokratisches parlamentarisches System. Dieses System entstand in Opposition zum reaktionären halbfeudalen primitiv-demokratischen System der Alten Eidgenossenschaft vor dem Bürgerkrieg im Jahre 1847, in dem die «direkte Demokratie» von den landbesitzenden Sippenältesten benutzt wurde, um die Masse der schaffenden Bevölkerung niederzuhalten. Damals merkte Friedrich Engels an: Die Urschweiz ist «demokratisch organisiert. Aber es gibt verschiedenerlei Demokratien, und es ist sehr nötig, dass die Demokraten der entwickelten Länder endlich die Verantwortlichkeit für die [...] urschweizerische Demokratie ablehnen. Die demokratische Bewegung erstrebt in allen entwickelten Ländern in letzter Instanz die politische Herrschaft des Proletariats. Sie setzt also voraus, dass ein Proletariat existiert; dass eine herrschende Bourgeoisie existiert; dass eine Industrie existiert, die das Proletariat erzeugt, die die Bourgeoisie zur Herrschaft gebracht hat. Von dem allen finden wir nichts [...] in der Urschweiz. [...] Die Demokratie der entwickelten Länder, die moderne Demokratie, hat also mit der [...] urschweizerischen Demokratie durchaus nichts gemein.» «Es ist ein wahres Glück, dass die europäische Demokratie endlich diesen urschweizerischen, sittenreinen und reaktionären Ballast los wird. Solange die Demokraten sich noch auf die Tugend, das Glück und die paternalistische Einfalt dieser Alpenbirten beriefen, solange hatten sie selbst noch einen reaktionären Schein. Jetzt, wo sie den Kampf der entwickelten, industriellen, modern-demokratischen Schweiz gegen die rohe, christlich-germanische Demokratie der viehzuchttreibenden Urkantone unterstützen, jetzt vertreten sie überall den Fortschritt, jetzt hört auch der letzte reaktionäre Schimmer auf, jetzt zeigen sie, dass sie die Bedeutung der Demokratie im 19. Jahrhundert verstehen lernen.»9

Als sich jedoch der Freihandelskapitalismus zum Monopolkapitalismus entwickelte, verwandelten sich die radikal-demokratischen Regierungsinstitutionen in ihr Gegenteil, in reaktionär-demokratische. Lenin stellte fest «dass der Imperialismus parasitärer oder faulender Kapitalismus ist, zeigt sich vor allem in der Tendenz zur Fäulnis, die jedes Monopol auszeichnet, wenn Privateigentum an den Produktionsmitteln besteht. Der Unterschied zwischen der republikanisch-demokratischen und der monarchistisch-reaktionären imperialistischen Bourgeoisie verwischt sich gerade deshalb, weil die eine wie die andere bei lebendigem Leibe verfault [...]. Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus.»10 Ein Beispiel dafür war die Wiederbelebung der primitiven «direkten Demokratie» von vor 1847, das heisst, der halbfeudalen Demokratie der Sippenältesten und Grundbesitzer. Dies war im Wesentlichen eine korporatistische Massnahme (das heisst, eine Wiederbelebung der alten, mittelalterlichen, zunftähnlichen, korporativen Formen der sozialen Organisation, die von der katholischen Kirche und später von der faschistischen Bewegung in verschiedenen Ländern gefördert wurde) und eine teilweise Aufhebung des Parlamentarismus. Mit der Verfassungsreform von 1891 wurde das parlamentarische System somit scheinparlamentarisch, und es wurde eine korporatistische Grundlage für das Regierungssystem geschaffen, die seither mit nur kurzen Unterbrechungen weiterentwickelt wurde. Wie Engels einmal bemerkte, schadet die spezifische Funktionsweise der schweizerischen «direkten Demokratie» mehr als sie nützt. Weitere Beispiele dafür sind die teilweise Entwaffnung der Schweizer Soldaten, die nur noch eine bestimmte Menge an Munition mit nach Hause nehmen durften («genug, um sich bis zum Zeughaus durchzukämpfen»), die flächendeckende Einführung der Vormundschaft für Frauen und andere reaktionäre Massnahmen.

Seit dem Aufkommen des Schweizer Monopolkapitalismus ist das Schweizer Regierungssystem zunehmend reaktionär geworden. Es hat sich eine korporatistische gesellschaftliche Basis geschaffen und die Schweizer Gesellschaft in hohem Masse militarisiert. Beides sind Verstösse gegen die liberal-demokratischen Prinzipien der Aufklärung, das heisst, es handelt sich dabei um eine Entwicklung hin zu einem totalistischen Regierungssystem, einer Totalisierung.

Beispiele für den korporatistischen Charakter der gesellschaftlichen Basis des Schweizer Staates sind unter anderem:

  • Die Verwendung der patriarchalen Familie als gesellschaftliche Grundeinheit anstelle des Individuums, wobei Steuern, Sozialleistungen, Bildung und andere Faktoren auf der Basis der Familie und nicht auf der Basis des Individuums berechnet werden. Dazu gehört auch, dass Frauen und Kinder in der Schweiz heute noch teilweise bevormundet werden.
  • Die praktische Nichtexistenz von Gewerkschaften in der Schweiz. Die grossen Schweizer «Gewerkschaften», einschliesslich der pseudolinken UNIA, sind in Wirklichkeit Korporationen. Sie sind zum Grossteil nicht auf der Basis von Betriebskomitees (Gewerkschaftsbasisorganisationen) strukturiert und die «Vertrauensleute» werden nicht von den Arbeitern gewählt, sondern von oben herab von den arbeiteraristokratischen Gewerkschaftsbürokraten ernannt, deren Spitzenpersonal rund 10'000 Franken im Monat verdient, und sie besitzen keine Komitees, in denen die einfachen Mitglieder organisiert sind und sich Gehör verschaffen. Zudem sind diese «Gewerkschaften» auf die Wahrung des Arbeitsfriedens (der in der Bundesverfassung und im Gesetz verankert ist) eingeschworen und können bei wilden Streiks sogar als Streikbrecher eingesetzt werden (und wurden das auch schon). Sie bilden auch gemeinsam mit den Kapitalisten korporative Kommissionen, die die Anwendung der Gesamtarbeitsverträge überwachen, wobei den «Gewerkschaften» zu diesem Zweck Geld gezahlt wird, so dass sie ein objektives Interesse daran haben, Verträge um jeden Preis zu unterzeichnen (auch wenn sie den Interessen der Arbeiter widersprechen) und sie gegen die Interessen aller Arbeiter durchzusetzen, auch gegen die ihrer eigenen Mitglieder.
  • Das Lehrlingssystem, in dem fast alle Arbeiter (die meisten von ihnen arbeiten im Detailhandel und anderen Dienstleistungsberufen, nicht im Handwerk) eine bis zu vierjährige Ausbildung unter der Aufsicht ihres Kapitalisten (in Zusammenarbeit mit den öffentlichen Schulen und den Arbeitgeberverbänden) durchlaufen müssen, weit unter dem Wert ihrer Arbeitskraft bezahlt werden und einer halbfeudalen Fronarbeit und anderen Demütigungen ausgesetzt sind. Das Lehrlingssystem ist eine Fortführung des mittelalterlichen Zunftwesens und stellt eine versteckte Kinderarbeit dar.
  • Die Verbreitung sogenannter «Genossenschaften» in der Schweizer Wirtschaft und ihre Förderung durch den Staat, insbesondere im Detailhandel und im Wohnungswesen, die in Wirklichkeit nichts anderes als Kapitalgesellschaften sind, in denen die Lohnarbeiter ermutigt oder gezwungen werden, mit den Kapitalisten, die Mieter mit den Vermietern und die Konsumenten und Produzenten mit den Profiteuren zusammenzuarbeiten.
  • Das Vorhandensein tatsächlicher, staatlich abgesegneter mittelalterlicher Zünfte im gesellschaftlichen Leben verschiedener Kantone.
  • Die Heranziehung, der Missbrauch und sogar die Einschränkung von legalen Vereinen und anderen Vereinigungen, die von der Schweizer Bevölkerung zu kulturellen, Freizeit-, Selbstverteidigungs- und anderen Zwecken gegründet wurden, durch den Staat, wie zum Beispiel die erzwungene Zusammenarbeit von Schiessständen und Schützenvereinen mit dem Schweizer Militär. Die Tatsache, dass der Staat soziale Aktivitäten, die nicht von Vereinen ausgehen, polizeilich sanktioniert, insbesondere soziale Aktivitäten von Jugendlichen im öffentlichen Raum, beweist, dass der Staat das Vereinswesen zur Korporatisierung der Volkskultur nutzt.
  • Das System der obligatorischen Vernehmlassung in der Schweizer Politik, bei dem sich die Exekutive mit Körperschaften, Verbänden, Unternehmen, Kirchen und so weiter beraten muss, bevor sie eine Stellungnahme oder einen Gesetzesvorschlag abgibt. Darüber hinaus gibt es auf vielen verschiedenen Ebenen der Gesellschaft gemeinsame staatlich-private Kommissionen für andere Formen von Vernehmlassungen.
  • Der politische Charakter der schweizerischen Polizei und Gerichte mit Vertretern der politischen Parteien als Richter, Staatsanwälte und Polizeichefs.
  • Die Politik des Staates, private Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen mit der Erbringung notwendiger öffentlicher oder sozialer Dienstleistungen zu beauftragen, wie zum Beispiel Arbeitslosenunterstützung und Beschäftigungsprogramme.
  • Die Rolle der verschiedenen Kirchen beim Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, der im Rahmen der Nichttrennung von Kirche und Staat auf kantonaler Ebene stattfindet, wobei viele Kantone nur bestimmte Religionsgemeinschaften wie die Juden oder die Muslime nicht anerkennen.
  • Die Verwendung von potenziellen Rekruten, die sich weigern, in der Armee zu dienen, um unter Militärdisziplin angeblich sozialen «Zivildienst» zu leisten (und möglicherweise als Streikbrecher zu dienen).
  • Die Abhängigkeit der armen Bauern vom Staat durch öffentliche Subventionen.
  • Die Verflechtung von öffentlichem und privatem Sektor im Bereich der Gesundheitsversorgung.
  • Der vorherrschende nationale Korporatismus, das heisst die erzwungene Zusammenarbeit der hegemonisierten oder unterdrückten Nationalitäten mit der dominierenden alemannischen Unterdrückernation durch das föderal-kantonale System (aus historischen und vor allem politischen Gründen gibt es eine grosse Anzahl alemannischer Kantone mit einer sehr geringen Bevölkerungszahl, was zur totalen Hegemonie der alemannischen Bourgeoisie im politischen System führt. Dieses System wurde im Rahmen der Konterrevolution von 1814 eingeführt und existierte nicht in der Helvetischen Republik, wo die Kantone ungefähr nach der Bevölkerungszahl der Nationalitäten aufgeteilt waren — es gab sogar einen explizit rätoromanischen Kanton), der Ständerat, der die Kantone auf Bundesebene vertritt, das Prinzip des Ständemehrs bei Referenden und Initiativen, und so weiter.
  • In 14 Kantonen gibt es sogenannte Bürgergemeinden, die zum Teil auch offiziell Korporationen genannt werden, die auf dem Land in der alemannischen Schweiz ein moderner Ableger der altgermanischen Markgemeinschaft sind (die als primitiv-kommunale Gesellschaftsform begann, aber bald zu einem Instrument der halbfeudalen Ausbeutung und Unterdrückung durch die Sippenältesten in der alten Schweiz wurde), oft als Korporationen von Bürgern des jeweiligen Kantons oder von Nachkommen alter Grundbesitzer (nicht von Schweizer Bürgern im Allgemeinen), unabhängig davon, wo sie sich geografisch befinden. In den Städten sind sie in der Regel weniger streng sippenartig strukturiert, haben aber dennoch einen korporativen Charakter, da sie dazu da sind, die korporativen Strukturen zu verwalten, die unter oder mit dem Staat arbeiten. Diese Bürgergemeinschaften verwalten lokalen Sozialdienste, Einwanderungsbehörden, Zünfte, Vereine und so weiter.
  • Das Konkordanzsystem und das Kollegialitätsprinzip als Leitideen der Exekutive insbesondere seit 1944, als die derzeitige Einheitsregierung während der Periode der totalistischen Herrschaft gebildet wurde.
  • Die Wehrpflicht für alle erwachsenen männliche Bürger, das heisst, ihre Unterwerfung unter die reaktionäre Militärdisziplin im Rahmen eines monatelangen imperialistisch-chauvinistischen Indoktrinationsprozesses, bei dem diejenigen, die sich weigern, mitzumachen, mit exzessiven «Ausbildungsregimentern» oder Beschimpfungen, manchmal sogar mit Schlägen oder körperlicher Demütigung bestraft werden, wobei Militärgerichte an der Tagesordnung sind. Darüber hinaus wurde das Militär in den letzten Jahren von der Offiziersklasse als billige Arbeitskraft für den Bau von Infrastrukturen und Konzentrationslagern für Geflüchtete genutzt, für die die Regierung keine echten Löhne zahlen will.
  • Das Milizsystem in der Legislative, das zur Folge hat, dass das Parlament nur viermal im Jahr zusammentritt, während die Abgeordneten nebenbei noch regulären Beschäftigungen nachgehen müssen. Das führt einerseits dazu, dass es überhaupt keine Lohnarbeiter im Parlament gibt, und andererseits dazu, dass es hauptsächlich mit Aktienhändlern, Chefs, Lobbyisten, reichen Gewerkschaftsbürokraten, Grossbauern und so weiter besetzt ist, was die Frage des Interessenkonflikts im Parlament dadurch löst, dass es dieses einfach zu einem offiziellen Organ der Kapitalistenklasse macht. Dies schliesst natürlich nicht die wachsende Zahl von professionellen politischen Nichtsnutzen ein, auch bekannt als Berufspolitiker.

Wir könnten noch mehr Beispiele nennen, aber diese sollten ausreichen, um zu zeigen, wie sehr die Schweizer Gesellschaft vom Korporatismus geprägt ist.

Darüber hinaus wird die korporatistische Grundlage des Schweizer Staates nicht nur von den Kommunisten, sondern auch von progressiven und demokratischen Akademikern anerkannt. So heisst es in einem wissenschaftlichen Artikel:

Der Wettbewerb zwischen verschiedenen ideologisch orientierten Gewerkschaftsföderationen (zum Beispiel in den romanischen Ländern) war für das Erscheinen korporativer Interessenmediation nicht förderlich. Eine Ausnahme bildet die konkordanzdemokratische Orientierung [...] der Schweiz [...] wo die verschiedenen ideologisch und religiös orientierten Stützpfeiler trotz Zersplitterung Strukturen bildeten, die dem Korporatismus ähneln.11

In einem anderen Artikel heisst es:

Zwischen den organisierten Interessen von Kapital und Arbeit findet eine institutionalisierte Koordination statt, die vom Staat aktiv gefördert wird. Diese Interessenvermittlung erfolgt einerseits in der wirtschaftlichen Arena der kollektiven Arbeitsbeziehungen, andererseits in der politischen Arena der Entwicklung und Ausführung von Gesetzen. Der schweizerische Korporatismus weist jedoch drei Besonderheiten auf. Erstens sind die industriellen Beziehungen wesentlich stärker dezentralisiert als in anderen neokorporatistischen Ländern wie Norwegen, Österreich oder Schweden. Zweitens geht der tiefe Zentralisierungsgrad einher mit einer engen Koordination der betrieblichen Lohnpolitik, die durch die einflussreichen Arbeitgeberverbände sichergestellt wird. Drittens kontrastieren die dezentralisierten industriellen Beziehungen mit der starken Einbindung der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in die politischen Entscheidungs- und Ausführungsmechanismen.

[...]

Die Zuordnung der Schweiz zu den neokorporatistischen Länder hängt vor allem mit der Rolle von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im Politikprozess zusammen. Merkmal neokorporatistischer Systeme ist, dass Interessensverbände in die Politikentwicklung einbezogen werden (Inputfunktion) und vom Staat Steuerungsaufgaben übernehmen (Outputfunktion). In der Schweiz wird die Inputfunktion von den Verbänden in konsultativen Gremien, vorparlamentarischen Expertenkommissionen sowie dem Vernehmlassungsverfahren wahrgenommen. Die Outputfunktion beinhaltet die Ausführung öffentlicher Aufgaben durch Verbände. Eine Abnahme der Koordination – das heisst ein Schritt in Richtung eines pluralistischeren Systems angelsächsischer Prägung – müsste sich in einer Abnahme des Einflusses von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften auf die Entwicklung und den Vollzug von Staatsaufgaben ausdrücken.

[...]

Wie erklärt sich das politische Gewicht der Arbeitnehmerverbände trotz starker Gegeninteressen? Hauptgrund ist das System der direkten Demokratie, das organisierten Interessen starke institutionelle Vetopunkte gibt.

[...]

Sind die Gewerkschaften in der Lage, ausserhalb ihrer traditionellen Kernbranchen (Bauwirtschaft, öffentliche Infrastrukturbetriebe, einzelne Industriebranchen) Verhandlungsmacht aufzubauen und damit die Unternehmen zu kollektiven Lösungen zu bewegen? Ein solches Unterfangen impliziert einerseits, dass die Gewerkschaften den Aufbau in den privaten Dienstleistungen schaffen – das explizite Ziel der Grossgewerkschaft UNIA. [...] Denn das Arbeitsmarktfundament, auf welchem das heutige System der schweizerischen Sozialpartnerschaft aufbaut, schrumpft, während die gut qualifizierten Dienstleistungsberufe weiter wachsen. Ohne Verbreiterung dieses Fundaments sind die Tage des Neokorporatismus trotz seiner relativen Stabilität gezählt.12

Mit anderen Worten: die neokorporatistische gesellschaftliche Basis des Schweizer Staates besteht in der erzwungenen Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit, deren Stärke im System der «direkten Demokratie» und in der Präsenz von korporativen Strukturen wie der UNIA in Schlüsselsektoren der Wirtschaft liegt. Dies ist die neokorporatistische gesellschaftliche Basis des Staates, die wir durch einen Polarisierungsprozess der öffentlichen Meinung untergraben und dann mit revolutionären Massenaktionen zerschlagen müssen — nur dann wird es für die schaffende Bevölkerung möglich sein, den gesamten verrotteten Überbau der auf dieser Basis steht zu stürmen und zu zerstören.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Schweizer Regierungssystem bereits totalistisch ist. Vielmehr spielt die Legislative (das Parlament) eine vorherrschende Rolle im Regierungssystem. Sie bildet die Grundlage sowohl für die Exekutive (den Bundesrat) als auch für die Judikative (die Gerichte), wobei sowohl der Bundesrat als auch das Bundesgericht zu etwa gleichen Teilen aus Mitgliedern der grossen bourgeoisen Parteien bestehen wie das Parlament. Zudem ist die Bundesverfassung ausdrücklich den vom Parlament verabschiedeten Gesetzen untergeordnet. Dies erscheint zwar durchaus demokratisch und stellt in der Tat eine Stärkung des Parlaments dar, ist aber gleichzeitig eine Aufhebung des von Montesqieu vor der französischen Revolution dargelegten Prinzips der Gewaltenteilung. Wie Hegel einmal bemerkte, verwandeln sich die Dinge, wenn sie sich zu ihren Extremen entwickeln, in ihr Gegenteil. So bedeutet die Stärkung des Schweizer Parlaments bis zu einem gewissen Grad die Stärkung der bourgeoisen Demokratie, darüber hinaus aber die Umwandlung des Parlaments in eine korporative Struktur. Es ist jedoch zu bedenken, dass diese Tendenz — die Tendenz zur Schwächung der Gewaltenteilung durch die Zusammenführung der drei Gewalten — nur eine von zwei totalistischen Tendenzen innerhalb des Staates ist, nämlich die absolutistische Tendenz. Die andere totalistische Tendenz ist die korporatistische Tendenz, die sich in der Stärkung der Macht der Kantone, dem Korporatismus, der «direkten Demokratie» und so weiter zeigt. Wie Gonzalo sagte, besteht das Wesen des Totalismus in der Aufhebung des Parlamentarismus und der Gewaltenteilung, entweder durch absolutistische oder korporatistische Mittel13 Und was die Referenden und Initiativen, unsere so genannte «direkte Demokratie», betrifft, so wird ihr korporatistischer Charakter sogar von bourgeoisen Akademikern anerkannt, wie zum Beispiel vom Historischen Lexikon der Schweiz (das direkt vom Bund finanziert wird), welches schreibt:

Der Korporatismus, der die Schweiz vor 1798 nostalgisch verklärte und von sich selbst das Bild einer in undurchlässigen Ordnungen bestehenden Gemeinschaft mit starkem – sehr idealisiertem – innerem Zusammenhalt entwarf, forderte eine Beschränkung des freien Wettbewerbs. Letzterer sollte durch die Planung, welche nicht der Staat, sondern die Berufsstände koordinierten, und die Ablehnung des Parlamentarismus, der nur als Quelle des Chaos betrachtet wurde, erfolgen. Der Korporatismus stellte sich auch gegen den zentralistischen Interventionismus des Bundes und gegen den Vormarsch des Sozialstaats, der in seinen Augen nur zu Abspaltungen führte. Antikapitalistisch und antisozialistisch eingestellt, plädierte er für die Versöhnung und nicht für den Kampf der Klassen, für die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit und für die Verteidigung des Mittelstands. Er bejahte den Föderalismus, blieb dem traditionellen Bild einer echt demokratischen Urschweiz verhaftet und träumte von einem Staat in der Rolle des Schiedsrichters, der von den Körperschaften der Gesellschaft, den Pfeilern der nationalen Einheit, getragen werde: von der Gemeinde, der Familie, dem Beruf, der Kirche, der Nation. Kurz: Er träumte von einer naturwüchsigen direkten Demokratie.14

Mit anderen Worten: Die vielgepriesene «direkte Demokratie», die von der Schweizerischen «Volkspartei» und zahllosen Spiessbürgern auf der ganzen Welt so geliebt wird, ist eine korporatistische Auferlegung. Und, mit den Worten von Benito Mussolini, dem italienischen Faschistenführer:

[...] das Organ, durch das sich, im Zentrum oder in der Peripherie, das Korporationssystem vollständig verwirklicht, durch das das Gleichgewicht der wirtschaftlichen Interessen hergestellt wird. Eine Verwirklichung, die nur auf dem Boden des Staates möglich ist, denn der Staat allein steht über den entgegengesetzten Interessen der Einzelnen und der Gruppen, mit der Aufgabe, sie zu einem höheren Zwecke zu vereinigen; eine Verwirklichung, die dadurch beschleunigt wird, dass alle wirtschaftlichen Organisationen vom korporativen Staate anerkannt, gewahrt und beschützt werden und im gemeinsamen Lebensraume des Faschismus gedeihen: daher fügen sie sich dem theoretischen und praktischem Aufbau des Faschismus ein.

Wir haben den korporativen und faschistischen Staat errichtet, den Staat der nationalen Gemeinschaft, den Staat, der die Interessen aller sozialen Klassen vereinigt, überwacht, ausgleicht und miteinander in Einklang bringt und der sie gleichzeitig schützt.15

Ist das nicht genau die Funktion der sogenannten «direkten Demokratie» in diesem Land?

Was in der Schweiz existiert, ist also ein zutiefst unterminiertes, reaktionäres, scheinparlamentarisches Regierungssystem auf korporatistischer Gesellschaftsbasis, das ständig zwischen bourgeoiser Demokratie und Totalismus schwankt, wobei die Erfahrung von 1939-52 bewiesen hat, dass es für die herrschende Klasse in der Tat äusserst einfach (und äusserst legal) ist, den Totalismus zu implementieren, wenn sie dies wünscht.16 Im Übrigen sei daran erinnert, dass die Initiative, die 1952 der Herrschaft per Dekret ein Ende setzte und Referenden und Initiativen wieder einführte, von der Waadtländer Liga vorgeschlagen wurde, den Verfechtern des Korporatismus, die nicht einfach zum Parlamentarismus zurückkehren, sondern eine andere Art von totalistischer Herrschaft in der Schweiz anstrebten. Den Korporatisten gelang es jedoch nicht, den Schweizer Staat vollständig nach korporatistischen Grundsätzen umzugestalten, wie sie es zuvor mit der Initiative für eine Totalrevision der Bundesverfassung von 1935 versucht hatten (die von der Schweizerischen Konservativen Volkspartei, der heutigen Partei Die Mitte, unterstützt wurde), und die Schweiz kehrte zu ihrem scheinparlamentarischen Regierungssystem zurück. Wer sich mit dem politischen System der Schweiz befasst, muss diese These verstehen.

#1.5. DIE SCHAFFENDE BEVÖLKERUNG LEHNT DIE WAHLEN AB

Das Schweizer Regierungssystem ist eine scheindemokratische Heuchelei, und die schaffende Bevölkerung der Schweiz erkennt dies als Tatsache an. Nach offiziellen Angaben des Bundesamtes für Statistik haben nur 45,11% der Wahlberechtigten 2019 tatsächlich ihre Stimme abgegeben. Das ist an sich schon lächerlich und beschämend für das «demokratischste Land der Welt», aber diese Zahl gibt nicht die volle Wahrheit wieder. Vielmehr dient sie als Feigenblatt einerseits für die tiefe Krise des Parlamentarismus in diesem Land, die viel tiefgreifender ist, als die herrschende Klasse zugibt, und andererseits für die Entmündigung eines ganzen Viertels der Schweizer Bevölkerung aus ethnischen Gründen.17 Betrachten wir die vielgepriesene «Schweizer Demokratie» etwas näher anhand der folgenden Tabelle, die aus offiziellen Daten des Bundesrats und des Bundesamts für Statistik zu den Eidgenössischen Wahlen 2019 besteht:

KATEGORIE ANZAHL ANTEIL AN DER GESAMTBEVÖLKERUNG
Schweizer Einwohner und Staatsangehörige 9'406'033 109,3%
Schweizer Staatsangehörige im Ausland 800'000 9,3%
Schweizer Einwohner 8'606'033 100,0%
Schweizer Staatsangehörige in der Schweiz 6'430'658 74,7%
Ausländische Staatsangehörige in der Schweiz 2'175'375 25,3%
Stimmberechtigte 5'459'218 63,4%
Abstimmende 2'462'641 28,6%
Gültige Stimmzettel 2'424'251 28,2%
Ungültige Stimmzettel 29'015 0,3%
Leere Stimmzettel 9'366 0,1%
Stimmberechtigte Schweizer Staatsangehörige im Ausland 185'093 2,2%
Nichtstimmberechtigte 3'146'815 36,6%
Haben nicht gewählt 6'143'392 71,4%
Haben keine gültige Stimme abgegeben 6'181'782 71,8%
Totale Anzahl gültiger Stimmen in der Schweiz 2'239'158 26,0%
Totale Anzahl Nichtwähler und ungültiger Stimmen in der Schweiz 6'366'875 74,0%

Zieht man also die Stimmen der im Ausland lebenden Schweizer Staatsangehörigen ab, die die Politik des Landes nicht wirklich betrifft, und berücksichtigt man die entrechteten Einwohner der Schweiz, das heisst die überwiegend erwachsenen migrantischen Arbeiter ohne Schweizer Staatsbürgerschaft sowie eine grosse Zahl von arbeitenden Jugendlichen und anderen entrechteten Personen, ergibt sich folgendes Ergebnis: 6'366'875 Personen oder 74% der Gesamtbevölkerung des Landes haben sich nicht an den Eidgenössischen Wahlen 2019 beteiligt. Das heisst, die Wahlbeteiligung liegt bei nur 26% der Gesamtbevölkerung der Schweiz. Das ist die mit Abstand niedrigste Wahlbeteiligung aller entwickelten Länder der Welt. Würde man diese Zahlen mit der offiziellen Wahlbeteiligung in anderen Ländern vergleichen, um etwas Salz in die eiternde Wunde dieser Scheindemokratie zu streuen, wäre die Schweiz das Land mit der viertniedrigsten Wahlbeteiligung der Welt — knapp über Haiti (2015), Afghanistan (2019) und Algerien (2021) und knapp unter Benin (2019). Und das soll das «demokratischste Land der Welt» sein?

#2. DER AKTIVE WAHLBOYKOTT

#2.1. DAS PARLAMENT KANN NICHT ZUR EROBERUNG DER POLITISCHEN MACHT GENUTZT WERDEN

Gibt es mit diesem Verständnis des schweizerischen Regierungssystems überhaupt die Möglichkeit, dass die Kommunisten es für einen «friedlichen Übergang zum Sozialismus» oder auch nur für Agitation und Propaganda nutzen können? Nein, überhaupt nicht. Ein so genannter «friedlicher Übergang zum Sozialismus», das heisst die Ergreifung und Verteidigung der politischen Macht für das arbeitende Volk, ist überall und schon immer völlig unmöglich gewesen. Der kapitalistische Staat ist die Klassenherrschaft der Kapitalisten, und Herrschaft bedeutet in letzter Instanz Diktatur ohne gesetzliche Schranken. Sobald die Arbeiterbewegung an Stärke gewinnt und die kapitalistische Herrschaft zu bedrohen beginnt, stürzt sich der kapitalistische Staat sofort in konterrevolutionären Terror, um die Revolution in Blut zu ertränken. Wie Lenin hervorhob:

Ihr nennt euren Staat frei, in Wirklichkeit aber ist euer Staat, solange das Privateigentum besteht, und sei er auch eine demokratische Republik, nichts anderes als eine Maschine in den Händen der Kapitalisten zur Unterdrückung der Arbeiter, und je freier der Staat ist, umso deutlicher kommt das zum Ausdruck. Ein Beispiel dafür sind in Europa die Schweiz, in Nordamerika die Vereinigten Staaten. Nirgends herrscht das Kapital so zynisch und rücksichtslos, und nirgends kann man das mit solcher Klarheit sehen wie gerade in diesen Ländern — obwohl das demokratische Republiken sind — wie prächtig ihre Fassade auch ausgemalt sein mag, wie viel man auch von der Arbeitsdemokratie, von der Gleichheit aller Bürger reden mag. In Wirklichkeit herrscht in der Schweiz und in der Vereinigten Staaten das Kapital, und alle Versuche der Arbeiter, eine einigermassen ernsthafte Verbesserung ihrer Lage zu erreichen, werden sofort mit dem Bürgerkrieg beantwortet. In diesen Ländern gibt es weniger Soldaten, ein kleineres stehendes Heer — in der Schweiz gibt es eine Miliz, und jeder Schweizer hat ein Gewehr zu Hause, in der Vereinigten Staaten gab es bis in die letzte Zeit hinein kein stehendes Heer — wenn also ein Streik ausbricht, so bewaffnet sich die Bourgeoisie, stellt Söldlinge ein und schlägt den Streik nieder, und nirgends wird dabei die Arbeiterbewegung so schonungslos brutal unterdrückt wie in der Schweiz und in der Vereinigten Staaten, nirgends macht sich im Parlament der Einfluss des Kapitals so stark geltend wie gerade hier. Die Macht des Kapitals ist alles, die Börse ist alles, das Parlament, die Wahlen, das sind Marionetten, Drahtpuppen...1

Aber wir müssen uns nicht auf eine theoretische Darlegung der Gründe beschränken, warum ein «friedlicher Übergang» unmöglich ist — wir können auch die offizielle Gesetzgebung des Schweizer Staates selbst zitieren. Wir müssen nur zwei offizielle Dokumente zitieren — die Bundesverfassung und das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus. Letzteres definiert «terroristische Aktivitäten» wie folgt:

Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen.

Erstere definiert einen Aspekt der «staatlichen Ordnung» wie folgt:

Das Eigentum ist gewährleistet.

Mit anderen Worten: «Androhung» oder «Verbreitung von Furcht» für die «Veränderung», das Recht auf «Eigentum» zu «verwirklichen oder zu begünstigen» (zum Beispiel, indem man darauf hinweist, dass der Kapitalismus buchstäblich das Klima der Erde zerstört, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, das Privateigentum an den Produktionsmitteln abzuschaffen), gilt als «terroristische Aktivität».

Darüber hinaus erlaubt dasselbe Gesetz der Bundespolizei, ohne richterliche Genehmigung, Menschen im Alter von 12 Jahren zu verbieten, sich mit bestimmten Personen zu treffen, ihnen zu verbieten, das Land zu verlassen, ihnen zu verbieten, an bestimmte Orte zu gehen, sie unter elektronische Überwachung zu stellen und Menschen im Alter von 15 Jahren in ihren eigenen Häusern einzusperren — alles wegen des Verdachts, dass sie eines Tages «Terroristen» im Sinne der oben genannten Definition werden könnten!

Es handelt sich hier um ein tatsächlich terroristisches, zutiefst faschistisches, totalistisches Gesetz, das nicht nur das Völkerrecht bricht, sondern auch alle Standards, Normen und Grundsätze der bourgeoisen Demokratie. Das ist das wahre Gesicht unserer kapitalistischen «Demokratie»!

Welcher «friedliche Übergang» ist unter diesem politischen System möglich?

Absolut keiner. Dieses Regierungssystem und das Staatssystem, mit dem es einhergeht, wurden von den Grosskapitalisten geschaffen, um ihnen zu dienen, und es kann nicht gegen sie gewendet werden — wie der Eine Ring von Tolkien muss es zerstört werden, damit es nicht diejenigen korrumpiert, die versuchen, es zu beherrschen. Mao Zedong wies deshalb darauf hin:

Die zentrale Aufgabe der Revolution und ihre höchste Form ist die bewaffnete Machtergreifung, ist die Lösung der Frage durch den Krieg. Dieses revolutionäre Prinzip des Marxismus-Leninismus hat allgemeine Gültigkeit, es gilt überall, in China wie im Ausland.18

#2.2. DIE FRAGE, OB DIE WAHLEN BOYKOTTIERT WERDEN SOLLEN ODER NICHT, IST EINE TAKTISCHE UND KEINE STRATEGISCHE FRAGE

In den letzten Jahren hat sich innerhalb der internationalen kommunistischen Bewegung eine dogma-revisionistische Strömung herausgebildet, die die Bezeichnung «Marxismus-Leninismus-Maoismus, hauptsächlich Maoismus» für sich selbst benutzt und sich vor allem seit 2015 aufgrund von reger Online-Propaganda einiger kleiner dogma-revisionistischer Gruppen in den Vereinigten Staaten, Deutschland und anderen imperialistischen Ländern verbreitet hat. Diese Gruppen haben eine ganze Anzahl provokateurähnlicher Aktionen durchgeführt, wodurch sie im Internet viel Aufmerksamkeit erregt haben. Daher wird die maoistische Bewegung in den imperialistischen Ländern heute im Allgemeinen von Menschen, die wenig über ihre Geschichte, Theorie und Praxis wissen, mit diesen sektiererischen Gruppierungen in Verbindung gebracht, was bis zu einem gewissen Grad ein verständliches Missverständnis ist. Als echte Kommunisten (die den Marxismus-Leninismus-Maoismus verteidigen, weil er der Kommunismus von heute ist, nicht wegen irgendwelcher Dogmen) müssen wir uns jedoch gegen diese Assoziierung wehren, so verständlich sie auch sein mag. Unser Kommunismus, unser Marxismus-Leninismus-Maoismus, ist die Ideologie von Karl Marx, Nikolaj Lenin und Mao Zedong; ist die Ideologie, die die russische und die chinesische Revolution geleitet hat; ist die Ideologie, die heute die revolutionären, langandauernden Volkskriege in Anatolien, Birma, Indien und auf den Philippinen leitet, wo marxistisch-leninistisch-maoistische Parteien gemeinsam mit der schaffenden Bevölkerung zu den Waffen gegriffen haben, um die politische Macht zu erobern und ein besseres Leben für das Volk zu schaffen, so wie es unsere Partei in unserem «eigenen» Land zu tun gedenkt. In Dienste diesem Ziels ist es jedoch notwendig, einige Illusionen über das Wesen des Maoismus in den imperialistischen Ländern zu zerstreuen, eine scharfe Trennlinie zwischen uns und den Dogma-Revisionisten zu ziehen und klarzustellen, dass unser Wahlboykott aus wohlbegründeten taktischen Gründen durchgeführt wird und nicht aus dogmatischen «strategischen» Gründen, wie es die Dogma-Revisionisten mit ihren eigenen unaufhörlichen «Boykottkampagnen» tun (die nichts anderes fördern als das, was Lenin als passive Enthaltung verurteilt hat).

Die Dogma-Revisionisten sind am bekanntesten für Publicity Stunts wie das Annageln von Schweineköpfen an öffentliche Bibliotheken in Austin, Texas; das Tragen eines fünf Meter hohen Porträts eines toten Peruaners durch die Strassen von Hamburg, während sie Parolen in gebrochenem Spanisch rufen; und das Besprayen von Wänden in ganz Europa in der immer gleichen hässlichen Handschrift, mit dem gleichen grellen Rotton und den gleichen unverständlichen Parolen, oft in Fremdsprachen, die sie selber gar nicht sprechen. Aber all dieser Unsinn hat angeblich einen «strategischen Charakter», so die «strategischen» Höhen der radikalen Phrasendrescherei, die diese Leute und insbesondere die Dogma-Revisionisten des «Komitees Rote Fahne» in Deutschland beherrschen — die die Website demvolkedienen.org, das Magazin Klassenstandpunkt und die Zeitung Rote Post betreibt und in der Öffentlichkeit vorzugsweise durch Tarngruppen agiert — die zu dieser Frage einmal einen Artikel geschrieben haben, den sie immer noch recht hoch schätzen. Zu Beginn möchten wir die zentrale These dieses Artikels zitieren:

Wir wiederholen es zum Abschluss gerne nochmal, der Wahlboykott hat eine strategische Bedeutung für die Rekonstitution der Kommunistischen Parteien, in diesem Land und auf der ganzen Welt. Er ist eine Demarkationslinie zwischen Marxismus und Revisionismus, zwischen Revolution und Konterrevolution. Er erlaubt es uns Verbindungen mit den tiefsten und breitesten Massen einzugehen. Er ist das Mittel, mit dem wir die Brücken zwischen uns und dem alten Staat zerstören und eine wirklich proletarische Partei aufbauen können.19

Natürlich ist eine solche «strategische Bedeutung» das genaue Gegenteil des Marxismus-Leninismus-Maoismus. Lenin sagte: «[...] das innerste Wesen, die lebendige Seele des Marxismus [ist] die konkrete Analyse einer konkreten Situation.»20 Darüber hinaus lehnte Lenin die Vorstellung ab, dass es überhaupt so etwas wie eine «Wahlstrategie» geben könnte, und erklärte: «Es sei daran erinnert, dass wir diese Frage stets konkret, in Abhängigkeit von der jeweiligen politischen Situation behandelt haben. [...] Zwischen dem revolutionären und dem opportunistischen Sozialismus besteht in der Frage des Boykotts der folgende Hauptunterschied. Die Opportunisten beschränken sich darauf, auf jeden beliebigen Fall ein und dieselbe [...] Schablone anzuwenden.»21 Das grundlegende Kriterium der Dogma-Revisionisten für die Beurteilung der Wahlfrage ist also eine Revision des Kriteriums des Marxismus-Leninismus-Maoismus.

Im weiteren Verlauf des Artikels wird eine Reihe von Argumenten angeführt, warum der Wahlboykott keine taktische, sondern eine strategische Frage ist. Das erste Argument lautet wie folgt:

Um die strategische Bedeutung und Rolle des Wahlboykotts zu verstehen muss man sich zunächst die allgemeine internationale Lage der Arbeiterbewegung vor Augen führen. Wir befinden uns heute in der strategischen Offensive der proletarischen Weltrevolution, das heisst der Imperialismus wird innerhalb der nächsten «50 bis 100 Jahre» vom Angesicht der Erde gefegt werden. [...] Heute können wir nicht mehr von der gleichen Situation ausgehen wie Lenin Anfang des 20. Jahrhunderts für die russische Revolution, denn wir sind von der strategischen Defensive über das strategische Gleichgewicht zur strategischen Offensive der proletarische Weltrevolution übergegangen. Dies ist ein verdammt grosser Unterschied!19

Dieses Argument ist wieder einmal völlig revisionistisch. Gonzalo hat den Revisionismus einmal wie folgt definiert: «Revisionismus bedeutet die Revision marxistischer Prinzipien, indem man sich auf neue Bedingungen beruft.»22 Mit der Berufung auf die «neuen Bedingungen» der «strategischen Offensive» der proletarisch-sozialistischen Weltrevolution versucht das Komitee Rote Fahne also, Lenins Kriterium zu revidieren, welches das einzige marxistische Kriterium zur Bewertung der Wahlfrage ist. Aber ist das Gelaber von den «neuen Bedingungen» überhaupt gerechtfertigt, oder ist es nur ein Vorwand, um die Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus-Maoismus zu revidieren? Es ist schlicht und einfach das Letztere, wie wir nun zeigen werden.

Zunächst einmal zitieren die Dogma-Revisionisten die Kommunistische Partei Perus über die angebliche «strategische Offensive» der Weltrevolution. Es ist richtig, dass Gonzalo und die peruanische Partei diesen falschen Standpunkt während des Volkskriegs in Peru vertreten haben, da sie nicht verstanden haben, welche Auswirkungen die kapitalistischen Wiederherstellungen in China, Albanien, Kampuchea und anderen Ländern auf das Kräfteverhältnis zwischen Revolution und Konterrevolution im Weltmassstab hatten. Die Weltrevolution, die 1966-70 kurz davor stand, zur strategischen Offensive überzugehen, erhielt einen schweren Rückschlag und zog sich auf die Stufe der strategischen Defensive zurück. Um dies zu erklären, müssen wir die tatsächlichen Argumente Gonzalos richtig wiedergeben und dürfen seine falschen Ansichten nicht mystifizieren. Die Kommunistische Partei Perus schrieb:

Andererseits weist der Vorsitzende Gonzalo darauf hin, dass es im Prozess der Weltrevolution, die den Imperialismus und die Reaktion vom Angesicht der Erde fegen soll, drei Etappen gibt: erstens, die strategische Defensive; zweitens, das strategische Gleichgewicht; und drittens, die strategische Offensive der Weltrevolution. Dabei wendet er das Gesetz des Widerspruchs auf die Revolution an, denn der Widerspruch regiert alles und jeder Widerspruch hat zwei sich untereinander bekämpfende Aspekte, in diesem Fall Revolution und Konterrevolution. Die strategische Defensive der Weltrevolution angesichts der Offensive der Konterrevolution beginnt 1871 mit der Pariser Kommune und endet im Zweiten Weltkrieg; das strategische Gleichgewicht wird mit dem Sieg der chinesischen Revolution, der Grossen Proletarischen Kulturrevolution und der Entwicklung der gewaltigen nationalen Befreiungsbewegung erreicht; später geht die Revolution in die strategische Offensive über, dieser Moment kann um die 1980er Jahre herum angesetzt werden, in denen wir Anzeichen wie den Iran-Irak-Krieg, Afghanistan, Nicaragua, den Beginn des Volkskriegs in Peru finden, eine Epoche, die in den «nächsten 50 bis 100 Jahren» einzuordnen ist [...]. Ausserdem ist es nicht verwunderlich, dass wir die drei Etappen auf die Weltrevolution anwenden, denn der Vorsitzende Mao wandte sie auf den Prozess des langandauernden Volkskriegs an.22

Das ist also eine Art, den Prozess der proletarisch-sozialistischen Weltrevolution zu betrachten, die sich auf Mao Zedongs Theorie der drei Etappen des langandauernden Krieges stützt. Was hat Mao über diese drei Etappen gesagt? Er schrieb:

Wenn der Krieg zwischen China und Japan langandauernd sein und der Endsieg China gehören wird, kann man mit Recht annehmen, dass dieser langandauernde Krieg in seiner konkreten Entwicklung drei Etappen durchlaufen wird. Die erste Etappe wird die Etappe des strategischen Angriffs der Gegner und unserer strategischen Verteidigung sein, die zweite die Etappe der strategischen Konsolidierung des Gegners und unserer Vorbereitung zur Gegenoffensive, die dritte die Etappe unserer strategischen Gegenoffensive und des strategischen Rückzugs der Gegner. Es ist unmöglich vorauszusagen, welche konkrete Lage sich in jeder dieser drei Etappen ergeben wird. Aber von den gegenwärtigen Bedingungen ausgehend, kann man dennoch auf einige Grundtendenzen in der Entwicklung des Krieges hinweisen. Die Entwicklung der objektiven Wirklichkeit wird ungemein ereignisreich sein und im Zickzack verlaufen, und keiner vermag dem Krieg zwischen China und Japan ein «Horoskop» zu stellen [...].

[...] Es steht schon fest, dass der Krieg langandauernd sein wird. Aber keiner kann voraussagen, wieviel Jahre und Monate er dauern wird. Das wird voll und ganz davon abhängen, inwieweit sich unsere Kräfte und die der Feinde verändern. Wer die Dauer des Krieges abkürzen will, dem bleibt keine andere Wahl, als alle Anstrengungen zu machen, um unsere Kräfte zu verstärken und die Kräfte der Gegner zu verringern. Das kann man, konkret gesprochen, nur erreichen, wenn man alles daransetzt, um im Verlauf der Kriegshandlungen möglichst viele Siege zu erkämpfen und dadurch viele feindliche Truppen aufzureiben; um den Partisanenkrieg zu entfalten und dadurch das von den Feinden besetzte Territorium auf minimale Ausmasse zu bringen; um die Einheitsfront zu festigen und zu erweitern und dadurch die Kräfte des ganzen Landes zusammenzuschliessen; um frische Truppen aufzustellen und neue Rüstungsbetriebe zu errichten; um den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt zu beschleunigen; um alle Schichten der Bevölkerung — Arbeiter, Bauern, Kaufleute und Intellektuelle — zu mobilisieren; um die feindlichen Armeen zu zersetzen und ihre Soldaten für uns zu gewinnen; um die Propaganda im Ausland zwecks Erlangung internationaler Hilfe zu betreiben; um die Unterstützung des japanischen Volkes und aller unterdrückten Nationen zu erlangen. Nur auf diesem Wege kann man die Dauer des Krieges verkürzen. Hier werden keinerlei Winkelzüge helfen.23

Mao wies auch darauf hin, dass von allen verschiedenen Triebkräften des langandauernden Krieges die revolutionären Stützpunktgebiete die wichtigste sind. Er schrieb:

[...] die Notwendigkeit und Wichtigkeit [der Errichtung von Stützpunktgebieten] ergeben sich aus dem langandauernden und erbitterten Charakter des Krieges. Da mit der Rückgewinnung unserer verlorenen Gebiete erst nach der Eröffnung der strategischen Gegenoffensive in ganz China begonnen werden kann, werden die Feinde bis dahin ihre Front tief nach Zentralchina hinein vorgeschoben und das Land nach Süden hin aufgespalten haben, und ein Teil — vermutlich sogar der grössere Teil — unseres Territoriums wird in die Hände der Feinde gefallen und zu seinem Hinterland geworden sein. Wir aber werden den Partisanenkrieg überall auf dem weiten, von den Feinden besetzten Gebiet entfalten, das feindliche Hinterland zur Front machen und ihn zu unablässigen Kämpfen in diesem ganzen Gebiet zwingen. Bis unsere strategische Gegenoffensive begonnen hat und wir unsere verlorenen Gebiete zurückerobert haben, wird es daher nötig sein, im feindlichen Hinterland den Partisanenkrieg beharrlich fortzusetzen, und das sicherlich für eine sehr lange Zeit, wenn sich auch die Dauer nicht genau bestimmen lässt. Darin besteht eben der langandauernde Charakter des Krieges. Andererseits werden die Feinde, um ihre Interessen in den besetzten Gebieten zu sichern, ihre Massnahmen gegen den Partisanenkrieg von Tag zu Tag verstärken, und besonders wenn ihre strategische Offensive zum Stehen gekommen ist, werden sie die Partisaneneinheiten grausam unterdrücken. Die lange Dauer und die Härte des Krieges machen es also unmöglich, den Partisanenkrieg im Hinterland der Feinde ohne Stützpunktgebiete fortzusetzen.

Was sind Stützpunktgebiete des Partisanenkriegs? Es sind strategische Basen, mit deren Hilfe die Partisaneneinheiten ihre strategischen Aufgaben erfüllen und jenes Ziel — die eigenen Kräfte zu erhalten und sich zu vergrössern sowie die Feinde zu vernichten und zu vertreiben — erreichen. Ohne solche strategischen Basen werden wir keine Stütze zur Ausführung aller strategischen Aufgaben und zur Verwirklichung des Kriegsziels haben. Es ist zwar eins der Merkmale des Partisanenkriegs im feindlichen Hinterland, dass die Partisanen ohne eigenes Hinterland operieren müssen, weil sie von dem allgemeinen Hinterland des Landes losgelöst sind. Ohne Stützpunktgebiet jedoch kann ein Partisanenkrieg nicht von Dauer sein und sich auch nicht entwickeln. Die Stützpunktgebiete sind also sein Hinterland.24

Mit diesem Verständnis von Maos Theorie der drei Phasen im Hinterkopf sollten wir uns nun Gonzalos eigene Erklärung des oben zitierten Abschnitts der Allgemeinen Politischen Linie der Kommunistischen Partei Perus ansehen. Auf dem Ersten Nationalen Parteitag 1988/89 sagte Gonzalo:

Indem er von der politischen Ökonomie ausging, legte der Vorsitzende Mao die Strategie der Weltrevolution als den Weg, die Städte der Welt von den ländlichen Gebieten der Welt aus zu umzingeln, fest. Natürlich war sein Ausgangspunkt die politische Ökonomie. Das klingt wie eine Lüge, oder? Aber in Wirklichkeit handelt es sich um eine These einer hoch entwickelten internationalen politischen Strategie. Aber wie leitet er sie aus der politischen Ökonomie ab? Er begründet sie ökonomisch aus den Produktionsverhältnissen in den rückständigen Ländern und den Ausbeutungsverhältnissen in den entwickelten Ländern, den imperialistischen Ländern, oder wie immer man sie nennen will. Das Argument ergibt sich aus diesem Zusammenhang. Aber warum erklären wir das nicht in dem Dokument [Über den Marxismus-Leninismus-Maoismus]? Wollt ihr wissen, warum? Weil einige Leute denken, dass diese These von Lin Biao stammt, weil er derjenige war, der sie veröffentlicht hat. Diese These ist in dem Dokument Es lebe der Sieg im Volkskrieg! versteckt. Daher ist es leicht, diese These als Lin-Biao-These zu brandmarken. Und wir sind uns der Tatsache bewusst, dass einige Leute uns für Lin Biao-Anhänger halten, auch wenn sie uns das nicht sagen. Versteht ihr das? So ist es, Kameraden. Alles muss zum richtigen Zeitpunkt gesagt werden, denn diese These wird herauskommen, Kameraden. Wir schreiben sie bereits in unseren Zeitungen, nicht? Aber wird die Revolutionäre Internationalistische Bewegung nicht wütend auf uns werden? Natürlich werden sie wütend auf uns sein! Deshalb müssen wir die Dinge in ihrem richtigen Kontext sehen. Die Revolution ist langandauernd, Kameraden. Ich spreche nicht von der Revolution in einem Land, sondern von der Weltrevolution!25

Was also hat Mao Zedong durch Lin Biao vermittelt, auf dem dieses Konzept beruht? Lin Biao schrieb:

Wenn, im Weltmassstab gesehen, Nordamerika und Westeuropa als «Städte der Welt» bezeichnet werden können, kann man Asien, Afrika und Lateinamerika die «ländlichen Gebiete der Welt» nennen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist die proletarisch-revolutionäre Bewegung in den nordamerikanischen und westeuropäischen kapitalistischen Ländern aus verschiedenen Gründen vorübergehend verzögert worden, während die revolutionäre Bewegung der Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika sich kraftvoll entwickelt hat. In einem gewissen Sinn befindet sich die gegenwärtige Weltrevolution auch in einer Lage, bei der die Städte durch ländliche Gebiete eingekreist sind. Die ganze Sache der Weltrevolution hängt in letzter Analyse von den revolutionären Kämpfen der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Völker ab, welche die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung sind. Die sozialistischen Länder sollen es als ihre internationale Pflicht ansehen, dass sie den revolutionären Kämpfen der Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika Unterstützung zukommen lassen.26

Gonzalo sprach in diesem Sinne über den weltweiten Volkskrieg. So sagte er:

Wir verstehen einen weltweiten Volkskrieg nicht als eine Handlung, die gleichzeitig an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Zeut stattfinden wird. Wir verstehen ihn als Projektion, und zwar im Zusammenhang mit den 50 bis 100 Jahren, die der Vorsitzende Mao Zedong vorausgesagt hat, als grosse Wellen von Volkskriegen, die schlussendlich alle wie stählernen Legionen einer grossen weltweiten Roten Armee zusammenkommen, wie Lenin selbst sagte. Das ist unsere Sicht der Dinge. Wir glauben, dass dies der einzige Weg ist, den wir gehen können. Ich betone, das Problem ist, dass die Gefahr eines Weltkrieges besteht, und das wäre ein riesiges Massaker, aus dem nur Elend, Ungerechtigkeit, Schmerz und Tod hervorgehen könnten — doch das sind nur noch mehr Gründe, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Die einzige Lösung ist daher der Volkskrieg, der, in Wellen verstanden, zu einem weltweiten Volkskrieg und zum Zusammenschluss der stählernen Legionen des internationalen Proletariats, der Völker, führen wird, die am Ende unsere historische Mission erfüllen werden. Wir haben das grosse Glück, in diesen Jahrzehnten zu leben, in denen Imperialismus und Reaktion weggefegt werden, denn was der Vorsitzende Mao vorausgesagt hat, wird in Erfüllung gehen. Wenn wir es selbst nicht sehen, dann werden es unsere Nachfolger, denn die Legionen werden immer grösser.

Was ist das Problem? Was ist das Wesentliche? Dem Marxismus-Leninismus-Maoismus die Befehlsgewalt einzuräumen, und damit — hauptsächlich mit dem Maoismus — den Volkskrieg aufnehmen, der universell anwendbar ist, unter Berücksichtigung des Charakters jeder Revolution und der konkreten Bedingungen jedes Landes.27

Was bedeutet eigentlich das ganze Gerede davon, dass der Imperialismus und die Reaktion in den «50 bis 100 Jahren» der «strategischen Offensive» der Weltrevolution hinweggefegt werden wird? Diese falsche Auffassung von Gonzalo stützt sich auf eine Aussage von Mao Zedong, die wie folgt lautet:

[...] es dauerte mehr als 300 Jahre, bis die Produktivkräfte des Kapitalismus den heutigen Stand erreichten. Der Sozialismus ist dem Kapitalismus in vieler Hinsicht überlegen, unsere Wirtschaft wird sich viel schneller entwickeln als die der kapitalistischen Länder. Aber China hat eine grosse Bevölkerung, eine schwache Ausgangsbasis und eine rückständige Wirtschaft. Um die Produktivkräfte in erheblichem Masse zu entwickeln und wie fortgeschrittensten kapitalistischen Länder der Welt einzuholen und zu überholen, werden wir, so meine ich, mindestens 100 Jahre brauchen. Vielleicht werden wir es tatsächlich innerhalb einiger Jahrzehnte schaffen, sagen wir, binnen 50 Jahren, wie manche schätzen. Wenn es wirklich so wäre, Himmel und Erde würden wir danken, das wäre wunderbar! Aber ich möchte euch raten, Genossen, euch auf relativ viele Schwierigkeiten gefasst zu machen und mit einer etwas längeren Zeitspanne zu rechnen. Der Aufbau einer starken kapitalistischen Wirtschaft hat über 300 Jahre gedauert, wenn wir in etwa 50 bis 100 Jahren in unserem Land eine starke sozialistische Wirtschaft aufbauen, ist das nicht eine gute Sache? Von jetzt an gerechnet sind die nächsten rund 50 bis 100 Jahre ein grosses Zeitalter radikaler Umwälzung in den Gesellschaftssystemen in der ganzen Welt, ein welterschütterndes Zeitalter ohne Beispiel in der Geschichte. Wir, die wir in einem solchen Zeitalter leben, müssen auf grosse Kämpfe vorbereitet sein, die sich in ihrer Form durch viele Merkmale von den Kämpfen in der Vergangenheit unterscheiden werden. Dabei müssen wir die allgemeingültige Wahrheit des Marxismus-Leninismus so gut wie möglich mit der konkreten Praxis des sozialistischen Aufbaus in China und mit der konkreten Praxis der Weltrevolution heute und in Zukunft verbinden und in der Praxis Schritt für Schritt die objektiven Gesetzmässigkeiten des Kampfes erkennen. Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass wir aus Blindheit viele Niederlagen und Rückschläge werden hinnehmen müssen. Aber wir werden daraus Erfahrungen gewinnen und den endgültigen Sieg erringen. Von daher gesehen ist es durchaus vorteilhaft, mit einer etwas längeren Zeitspanne zu rechnen, die Frist zu kurz anzusetzen kann sich dagegen schädlich auswirken.28

Jetzt, wo wir alle Fakten vor Augen haben, können wir damit beginnen, diese dogma-revisionistische «strategische Offensive», die die Grundlage für einen Grossteil ihrer unsinnigen Phrasendrescherei ist, voll und ganz zu zerlegen.

Erstens: Wenn wir die proletarisch-sozialistische Weltrevolution als einen langandauernden Prozess im globalen Massstab betrachten, als einen weltweiten Volkskrieg, der die drei Phasen der strategischen Defensive, des strategischen Gleichgewichts und der strategischen Offensive durchlaufen muss, bevor er den endgültigen Sieg erringt, dann müssen wir definieren, was die Triebkräfte dieses langandauernden Prozesses überhaupt sind. Wie Mao im Zitat aus Probleme des Partisanenkriegs gegen die japanische Aggression erklärte, ist die Haupttriebkraft dieses Prozesses der Aufbau von revolutionären Stützpunktgebieten, die Gonzalo auch als «die Essenz des Volkskriegs»22 bezeichnet. Was sind diese revolutionären Stützpunktgebiete auf internationaler Ebene? Wie Gonzalo in Übereinstimmung mit Maos Überlegungen, die von Lin Biao zum Ausdruck gebracht wurden, argumentierte:

Zu einem anderen Zeitpunkt, als die Revolution sich schon am weiterentwickeln war und unserer Meinung nach in das strategische Gleichgewicht übergegangen war, brachte der Vorsitzende Mao die Frage der Strategie der Weltrevolution auf. Heute glauben wir, dass die Weltrevolution in ihre strategische Offensive übergegangen ist.

Der Vorsitzende hatte all das also schon vorausgesagt, weshalb ich glaube, dass er die Weltrevolution als ein einheitliches Ganzes sah. Daher kam er zum Standpunkt, dass China ein Stützpunktgebiet im Dienst der Weltrevolution sein sollte, und daher auch seine grossen Anstrengungen, Kader dafür zu trainieren, Volkskrieg zu führen, vor allem in den rückständigen Ländern.25

Somit wird deutlich, dass es sich bei den Stützpunktgebieten der Welt nur um die sozialistischen Länder handeln kann; die nationalen Befreiungsbewegungen können aus dieser Perspektive höchstens die «Partisanengebiete der Welt» darstellen.

Wie kann es also sein, dass die Weltrevolution im Jahr 1980 in die strategische Offensive übergegangen ist? Gonzalo nennt als Beispiele den Volkskrieg in Peru, den Iran-Irak-Krieg, die sowjetische Invasion Afghanistans und die Revolution in Nicaragua (die auf halber Strecke abgebrochen wurde). Wie in aller Welt kann auch nur eines dieser Beispiele als Beweis für eine strategische Offensive der Weltrevolution dienen? Eine strategische Offensive stützt sich auf Stützpunktgebiete, also auf sozialistische Länder. Aber diese logische Inkonsequenz ist nicht verwunderlich, wenn sie von Leuten kommt, die tatsächlich glauben, dass in Peru nicht nur immer noch ein Volkskrieg geführt wird, sondern dass dieser sogar kurz vor einer strategischen Offensive steht!

Kommen wir nun zur Frage der «50 bis 100 Jahre». Diese Aussage stammt von Mao Zedong aus dem Jahr 1962. Wenn wir ein wenig rechnen, können wir somit folgern, dass die Dogma-Revisionisten glauben, dass die Weltrevolution irgendwann zwischen den Jahren 2012 und '62 den vollständigen Sieg erringen wird und Imperialismus und Reaktion vollständig verschwinden werden (das heisst, dass es nur noch sozialistische und neu-demokratische Staaten auf der Erde geben wird)! In der Praxis zeigt sich davon wenig. Klar, die kapitalistische Zerstörung des Klimas bewirkt eine rasante Verschärfung aller Widersprüche auf Weltebene, was durchaus zu einem enormen globalen Aufschwung von Revolutionen vor 2062 führen kann, aber davon hatten weder Mao noch Gonzalo eine Ahnung, und unsere dogma-revisionistischen Freunde leugnen selbst den Klimawandel und gehen sogar so weit, Aussagen wie diese zu machen (aus einem internen Dokument des «Komitee Rote Fahne»):

Eine weitere Kampagne, die zurzeit als Teil der allgemeinen konterrevolutionären Offensive entfaltet wird, ist die sogenannte «Klimabewegung». [...] Sie wird als klassenlose Massenbewegung dargestellt, weil sie sich angeblich mit dem Aussterben der Menschheit befasst und darum jede/r sie unterstützen muss, der/die dafür ist, dass die Menschheit weiterexistiert. Manche selbsternannten marxistischen Organisationen, Kleingruppen und Individuen fallen auch darauf hinein und trotten der Bewegung hinterher. [...] über die «Klimabewegung» in der BRD muss gesagt werden, dass sie durch und durch einem Teil der deutschen imperialistischen Grossbourgeoisie dient. Die Massen, die für sie mobilisiert werden, stammen hauptsächlich aus der Kleinbourgeoisie und besonders aus seiner intellektuellen Schicht. Die Jugend, die als Teil der Bewegung auf die Strasse geht, setzt sich im Allgemeinen aus Gymnasiasten und Studenten zusammen, und nur wenige darunter stammen wirklich aus dem tiefsten und breitesten Massen, die wichtigere Probleme haben als den Klimawandel.

Es muss auch wiederholt werden, dass die Behauptung, die Menschheit würde durch den Klimawandel aussterben, eine völlige Lüge ist und allein dem Ziel dient, öffentliche Meinung zu schaffen. Der Klimawandel ist ein wiederkehrendes Phänomen in der Geschichte der Erde und nicht einmal die EIszeit konnte die Menschheit in Nordeuropa auslöschen. Wirklich vom Klimawandel bedroht ist die Stabilität der imperialistischen Staaten, da die Zunahme der Erdtemperatur das Leid vieler unterdrückter Nationen intensiviert, zum Beispiel in Afrika, was dazu führt, dass mehr Leute in die imperialistischen Staaten fliehen. Das wird höchstwahrscheinlich den Lebensstandard der Kleinbourgeoisie und der Arbeiteraristokratie reduzieren, was massives revolutionäres Potenzial in den imperialistischen Staaten schafft.

[...] die Bourgeoisie wird mit einem Problem konfrontiert und muss neue Wege finden, die Massen in das System einzubinden. Das ist der Zweck der «Klimabewegung». [...] Die Massen wollen etwas, wofür sie kämpfen können, und durch die «Klimabewegung» gibt die Bourgeoisie den Massen etwas, wofür es wichtig zu kämpfen sein scheint, was aber das imperialistische System nicht gefährdet.

Die «Klimabewegung» ist ein Versuch, die revolutionäre Jugend zu neutralisieren und der Kontrolle der Grünen Partei zu unterwerfen.29

Selbstverständlich ist der Standpunkt von Karl Marx zur Klimafrage ein entlarvendes Gegenbild der Dogma-Revisionisten: «Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, in dem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.»30

Aber zurück zum eigentlichen Thema. Diesen Dogma-Revisionisten zufolge ist es völlig normal, dass ein Volkskrieg wie der in Peru 43 Jahre andauert, von denen 30 völlig ohne proletarische Führung und 24 völlig ohne bewaffnete Aktionen verlaufen sind, es sei denn, man zählt die vom Kokainkartell in der VRAEM-Region durchgeführten Aktionen (die sogenannte «Militarisierte Kommunistische Partei Perus», die «Xi Jinpings Denken» hochhält, deren Aktionen sie seit 1999 propagieren und deren Bilder sie seit 2013 stolz als echte Dokumentation der «Peruanischen Volksbefreiungsarmee» zeigen). Nach dieser Logik hätte jedes Land der Welt spätestens vor vier Jahren einen Volkskrieg beginnen müssen. Wie soll also die Weltrevolution in den nächsten 39 Jahren komplett siegen können? Das ist absolut lächerlich! Abschliessend sei gesagt, dass diese Aussage von Mao nie etwas anderes als eine Prognose war, die sich erstens auf den Zeitraum stützt, den frühere Klassen für die Eroberung der politischen Macht im Zuge ihrer Weltrevolutionen brauchten, und zweitens auf Bedingungen, die 1962 existierten und die es heute überhaupt nicht mehr gibt, wie zum Beispiel mehrere sozialistische Länder (in denen ein Viertel der Weltbevölkerung lebte), eine mächtige nationale Befreiungsbewegung und eine echte Arbeiterbewegung in einer Reihe von imperialistischen Ländern, in denen sich teilweise antirevisionistische Kräfte zu formieren begannen. Es wäre idiotisch, wenn wir diese Einschätzung heute anwenden würden. Mao sagte sogar schon damals (im oben zitierten Statement) selbst: «Von daher gesehen ist es durchaus vorteilhaft, mit einer etwas längeren Zeitspanne zu rechnen, die Frist zu kurz anzusetzen kann sich dagegen schädlich auswirken.»28

Darüber hinaus verstehen wir nicht, wieso eine strategische Offensive der Weltrevolution Auswirkungen auf die taktische Phase der Weltrevolution oder die strategische Phase der Revolution in jedem Land haben sollte. Selbst wenn heute die gesamte Dritte Welt sozialistisch wäre und in allen westeuropäischen Ländern Revolutionen im Gange wären, würde das bedeuten, dass sich beispielsweise die japanische Revolution ebenfalls in der strategischen Offensive befände? Natürlich wirken die internationalen Bedingungen durch die inneren Bedingungen in einem Land, aber genau das ist ja der Punkt — sie können nur in dem Masse durch sie wirken, wie es die inneren Bedingungen erlauben. Wie Mao Zedong einst sagte: «Die Grundursache der Entwicklung eines Dinges liegt nicht ausserhalb, sondern innerhalb desselben; sie liegt in seiner inneren Widersprüchlichkeit. Allen Dingen wohnt diese Widersprüchlichkeit inne, und sie ist es, die die Bewegung und Entwicklung dieser Dinge verursacht. Diese innere Widersprüchlichkeit der Dinge ist die Grundursache ihrer Entwicklung, während der Zusammenhang und die Wechselwirkung eines Dinges mit anderen Dingen sekundäre Ursachen darstellen. Somit tritt die materialistische Dialektik der Theorie von der äusseren Ursache, vom äusseren Anstoss, die dem metaphysischen mechanischen Materialismus und dem metaphysischen vulgären Evolutionismus eigen ist, entschieden entgegen. Es ist klar, dass rein äussere Ursachen nur eine mechanische Bewegung der Dinge hervorzurufen vermögen, das heisst eine Vergrösserung oder Verkleinerung des Umfangs, Vermehrung oder Verminderung der Menge; es lässt sich aber aus ihnen nicht erklären, warum den Dingen eine unendliche qualitative Mannigfaltigkeit und ihre wechselseitige Verwandlung ineinander eigentümlich sind.»31 Wie kann also die «korrekte» Politik des Wahlboykotts im Allgemeinen auf Weltebene bestimmen, dass man die Wahlen in jedem spezifischen Land boykottieren sollte? Wie kann eine solche «rein äussere Ursache» zu einem «qualitativen» Wechsel zwischen Wahlbeteiligung und Wahlboykott führen? Wir sind ratlos, aber vielleicht können uns unsere dogma-revisionistischen «philosophischen Monisten», die so «gute Schüler des Vorsitzenden Mao» sind, eine weitere «Verteidigung des Maoismus» liefern, vorausgesetzt, sie haben Lust, «unseren Lügen Glauben zu schenken», jetzt, da wir uns mit ihnen auf einer theoretischen Ebene auseinandersetzen, anstatt nur wie in der Vergangenheit ihre antikommunistischen Verbrechen aufzudecken.32

Abschliessend möchten wir die Selbstkritik zitieren, die Gonzalo selbst nach seiner Verhaftung 1992 zur Frage der «strategischen Offensive der Weltrevolution» formulierte:

[...] früher vertraten wir die Auffassung, dass die strategische Offensive der Weltrevolution in den 1980er Jahren begann; heute haben wir uns weiterentwickelt und sind der Meinung, dass der Zeitraum 1976-80 nur wenige Jahre darstellt. Die strategische Offensive der Weltrevolution begann mit der Grossen Proletarischen Kulturrevolution, denn sie ist der höchste Gipfel, den die proletarische Weltrevolution und die nationale Befreiungsbewegung unter der Führung des Proletariats erreicht haben. So strebte der Vorsitzende Mao danach, die proletarische Weltrevolution weiterzuentwickeln und zu vertiefen.

[...]   Der gegenwärtige allgemeine Rückzug der Revolution ergibt sich aus dem Wiederherstellungsprozess [des Kapitalismus in den früheren sozialistischen Ländern], aus der Schaffung einer ungünstigen öffentlichen Meinung über diese gesamte Stufe der Revolution (140 Jahre). Bislang dauert die weltweite politische Ebbe drei Jahre an. Im Lichte des Marxismus — und das ist entscheidend und der Schlüssel zur Festlegung der Strategie der proletarischen Weltrevolution in der neuen grossen Welle — verstehen wir, warum diese Periode eine Art Scharnier zwischen der Vollendung der einen Stufe der proletarischen Weltrevolution und der zukünftigen grossen Welle der proletarischen Weltrevolution ist. Dies ist unter anderem die Begründung des allgemeinen politischen Rückzugs.33

[...] Nun zeichnet sich eine neue Welle ab, aber es wird mehrere Wellen geben, bevor sich die neue Stufe der «50 bis 100 Jahre» bis 2060, die der Vorsitzende Mao vorausgesagt hat, entwickeln kann und der Imperialismus und die Reaktion von der Erdoberfläche gefegt werden können. Wir brauchen ca. 200 Jahre, ab der Pariser Kommune, um die Diktatur der Arbeiterklasse zu festigen, den Sozialismus aufzubauen und den Sozialismus in Richtung Kommunismus zu entwickeln. Wir haben jedoch die Niederlage der Grossen Proletarischen Kulturrevolution erlitten, was zu einer Aufschiebung dieser Einschätzung geführt hat. Wir müssen härter kämpfen und dürfen nicht damit aufhören, denn die zukünftige Welle von 2060 wird noch weiter aufgeschoben, wenn wir nicht dazu in der Lage sind. Warum sage ich das? Weil der Vorsitzende [Mao] sagte, dass ein Scheitern der Kulturrevolution eine Verzögerung von 100, 1'000 oder sogar 10'000 Jahren zur Folge hätte. Deshalb ist eine enorme Anstrengung unserer Klasse erforderlich, damit dieser Aufschub kürzer wird, aber er kann nicht beseitigt werden. Diese lange Zeit des Rückzugs wird länger oder kürzer sein, je nach den Bedingungen des Klassenkampfes und vor allem den Aktionen unserer Klasse, die den Kurs beibehalten muss, egal wie viele Biegungen es im Weg geben mag — das ist das Wesentliche. Wenn es einen Rückzug gibt, müssen wir ihn ernst nehmen. Das ist nicht einfach, aber das Proletariat, unsere Klasse, hat Erfahrung im Umgang mit Rückzügen. Die Revolution kann heute nicht siegen. In unserem eigenen Fall ist die Situation ähnlich: Wir können den Krieg nicht fortsetzen, weil ein Sieg unmöglich ist. Also was tun? Wir müssen unsere Kräfte für die Zukunft aufsparen. Deshalb sagen wir, dass es nicht darum geht, zu verteidigen, was heute ungewiss und immateriell ist, sondern sich auf eine Zukunft vorzubereiten, die sicher und real ist. Im Hinblick auf die proletarische Weltrevolution müssen wir uns jedoch bemühen, die Aufschiebung der nächsten Welle zu verringern, die nicht heute, sondern in Zukunft stattfinden wird. So müssen wir darüber nachdenken, wir dürfen nicht so tun, als ob sie bereits jetzt beginnen würde. Die Revolution muss mit einem Sinn für Strategie vorbereitet werden, eine grosse Auswertung muss gemacht werden, Lektionen müssen gelernt werden und ein Plan muss ausgearbeitet werden. Es muss genau so gemacht werden wie damals, als wir uns auf die Einleitung vorbereiteten, aber mit dem komplexen Charakter, den die Weltrevolution zwangsläufig mit sich bringt, und das kann und muss während dieser Zeit des Rückzugs verwirklicht werden.34

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorstellung, dass die Weltrevolution in eine «strategische Offensive» übergegangen ist, nichts anderes als eine «linksradikale» Überschätzung der objektiven Bedingungen der Weltrevolution war, als Gonzalo sie 1980 vorschlug, und heute nichts anderes als eine Wahnvorstellung in den Köpfen einiger Kultisten in Hamburg, Austin und anderen Orten und ihren Jüngern — die paar Dutzend kriecherischer Teenager, die ihnen blind folgen — ist; darüber hinaus wurde sie sogar von der Person, die sie sich ausgedacht hat, geleugnet. Heute ist die Realität eindeutig: Infolge des Endes der ersten grossen Welle der proletarisch-sozialistischen Weltrevolution ist die Weltrevolution in die Phase der strategischen Defensive zurückgefallen, und es ist heute die Hauptaufgabe der Kommunisten der Welt, sich auf eine neue grosse Welle der Revolution vorzubereiten. Um es mit Gonzalos Worten auszudrücken:

Wie wir weltweit sehen können, ist der Maoismus unaufhaltsam auf dem Vormarsch, die neue Welle der proletarischen Weltrevolution anzuführen. Lasst uns das verstehen und begreifen! Wenn ihr Ohren habt, benutzt sie, wenn ihr ein Gehirn habt — und das haben wir alle — schaltet es ein. Genug mit diesem Unsinn, genug mit diesen Unklarheiten! Was entfaltet sich auf der Welt? Was muss passieren? Der Maoismus muss verkörpert werden, wie es bereits geschieht, und wir müssen Kommunistische Parteien schaffen, damit der Maoismus diese neue grosse Welle der proletarischen Weltrevolution, die auf uns zukommt, lenken und leiten kann.35

Das zweite Hauptargument des dogma-revisionistischen Artikels lautet wie folgt:

Die Frage der Beteiligung oder des Boykotts der Wahlen, die die russischen Kommunisten [...] aufwarfen, spielte sich hauptsächlich im Rahmen der demokratischen Revolution in Russland ab. Also war die bürgerliche Demokratie noch nicht einmal die Bühne dieser Frage [...].19

Dieses Argument ist für jede/n, der/die Lenins Kriterium für die Beurteilung der Wahlfrage kennt, offensichtlich falsch. Lenin befürwortete nicht nur die Teilnahme an den bourgeoisen Wahlen in Russland vor (siehe die Wahlen für die Duma), sondern auch nach (siehe die Wahlen für die Konstituierende Versammlung) der Grossen Sozialistischen Novemberrevolution. Darüber hinaus befürwortete er entschieden die Nutzung von Parlament und Wahlen für die revolutionäre Agitation und Propaganda in den entwickelten imperialistischen Ländern Westeuropas. Es genügt, diesen Auszug aus Lenins Brief an die österreichischen Kommunisten zu lesen:

Solange wir noch nicht die Kraft haben, dieses bourgeoise Parlament auseinanderzujagen, müssen wir von innen wie von aussen dagegen arbeiten. Solange irgendeine bedeutende Anzahl Arbeitender — nicht nur Proletarier, sondern auch Halbproletarier und Kleinbauern — den bourgeois-demokratischen Mitteln des Betrugs der Bourgeoisie an den Arbeitern vertraut, müssen wir diesen Betrug entlarven, und zwar eben von jener Tribüne herab, die die zurückgebliebenen Schichten der Arbeiter und insbesondere der nichtproletarischen arbeitenden Massen als am meisten massgebend und autoritativ betrachten.

Solange wir Kommunisten noch nicht die Kraft haben, die Staatsgewalt in die Hand zu nehmen, und die Arbeitenden allein die Wahl ihrer Räte gegen die Bourgeoisie nicht durchführen können, solange noch die Bourgeoisie über die Staatsgewalt verfügt und zu den Wahlen die verschiedensten Klassen der Bevölkerung heranzieht, sind wir verpflichtet, an den Wahlen teilzunehmen, zur Agitation unter allen Arbeitenden, nicht nur unter den Proletariern allein.36

Ausserdem sollte man lesen, was Lenin über Bela Kun, den Anführer der ungarischen Kommunisten, schrieb, der genau dieselbe Strategie des Wahlboykotts vertrat wie die Dogma-Revisionisten:

«Der aktive Boykott», schreibt der Verfasser, «bedeutet, dass die Kommunistische Partei sich nicht mit der Ausgabe der Parole gegen die Beteiligung an den Wahlen begnügt, sondern im Interesse der Durchführung des Boykotts eine ebenso ausgedehnte revolutionäre Agitation entfaltet, als ob sie in die Wahlen eingetreten wäre und ihre Agitation und Aktion» (Arbeit, Tätigkeit, Aktivität, Kampf) «auf die Gewinnung der erreichbar höchsten Zahl von Proletarierstimmen eingestellt hätte.»

Das ist eine wahre Perle. Das wird die Antiparlamentarier besser töten als jede Kritik. Einen «aktiven» Boykott zu erfinden, «als ob» wir an den Wahlen teilnähmen!!! Massen von unaufgeklärten und halbaufgeklärten Arbeitern und Bauern nehmen allen Ernstes an den Wahlen teil, denn sie glauben noch an die bourgeois-demokratischen Vorurteile, sie sind noch in diesen Vorurteilen befangen. Aber anstatt den unaufgeklärten (wenn auch mitunter «kulturell hochstehenden») Spiessern zu helfen, ihre Vorurteile auf Grund eigener Erfahrung zu überwinden, sollen wir vor der Teilnahme am Parlament zurückscheuen, sollen wir uns damit amüsieren, eine Taktik auszuhecken, die unberührt ist vom bourgeoisen Schmutz des Alltagslebens!!!

Bravo, bravo, Kamerad Bela Kun! Mit deiner Verteidigung des Antiparlamentarismus wirst du diese Dummheit rascher erledigen helfen als ich durch meine Kritik.20

Was sagte Lenin schliesslich über den Wahlboykott in der «bürgerlichen Demokratie», die offenbar «nicht einmal die Bühne dieser Frage» war? «An und für sich ist dieser Boykott eine innere Angelegenheit der bürgerlichen Demokratie.»37

Mit anderen Worten: Das zweite Argument der Dogma-Revisionisten ist nichts anderes als Sophisterei, das heisst, der Versuch, mit einem wohlklingenden Argument die Wahrheit aus dem Hut zu zaubern.

Ihr drittes Argument lautet wie folgt:

Die Duma war zum geschichtlichen Zeitpunkt als die Bolschewiki sie benutzten etwas vollkommen neues, das sich das Volk zum dem Zeitpunkt erkämpft hatte. Beides trifft heute, besonders in der BRD, nicht mehr zu. Hier muss sich das Proletariat nicht mehr die bürgerliche Demokratie (oder besser: demokratische Revolution) erkämpfen, das Parlament bzw. die Parlamente in der BRD sind schon bis in den letzten Winkel Teil des herrschenden Systems, das heisst des Imperialismus und dementsprechend seine Interessenvertretungen.19

Das ist ja mal was! Lesen wir nun, was Lenin über die Erste Duma schrieb, die das jüngste und erste russische Parlament war, das am meisten «bis in den letzten Winkel» Teil des herrschenden Systems war und die Interessen des Zarismus auch am meisten vertrat:

Die gegenwärtige politische Lage in Russland ist so, dass bald eine Bulyginsche Duma einberufen werden kann, das heisst eine beratende Versammlung von Vertretern der Gutsbesitzer und der Grossbourgeoisie, gewählt unter Aufsicht und Mitwirkung der Diener der absolutistischen Regierung auf Grund eines ausgesprochenen Zensus, eines ständischen und indirekten Wahlrechts, das eine glatte Verhöhnung des Gedankens der Volksvertretung ist. Welche Haltung soll man gegenüber dieser Duma einnehmen?

[...] die ganze Aufgabe der Partei des Proletariats besteht darin, den Zeitpunkt [des] Abschlusses [des Pakts zwischen dem Zarismus auf der einen und der Bourgeoisie auf der anderen Seite, um der Revolution ein Ende zu bereiten] möglichst hinauszuschieben, die Bourgeoisie möglichst zu spalten, aus den vorübergehenden Appellen der Bourgeoisie an das Volk einen möglichst grossen Nutzen für die Revolution zu ziehen und während dieser Zeit die Kräfte des revolutionären Volkes (des Proletariats und der Bauernschaft) auf den gewaltsamen Sturz der Selbstherrschaft und auf die Ausschaltung, die Neutralisierung der verräterischen Bourgeoisie vorzubereiten.

[...]

Daraus geht klar hervor, dass unsere Taktik im gegenwärtigen Augenblick erstens darin bestehen muss, die Idee des Boykotts zu unterstützen.37

Es ist also absolut nicht wahr, dass die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (Mehrheit) die Erste Duma «benutzten», nein, sie boykottierten sie. Noch deutlicher wies Lenin das Argument zurück, man solle sich nur an einem Parlament beteiligen, das «etwas vollkommen neues» sei, wie die Dogma-Revisionisten behaupten, denn «es kommt ja nicht darauf an, ob die bourgeoisen Parlamente lange oder kurze Zeit bestehen, sondern darauf, wieweit die breiten Massen der Arbeitenden (ideologisch, politisch, praktisch) bereit sind, die Räteordnung anzunehmen und das bourgeois-demokratische Parlament auseinanderzujagen (oder seine Auseinanderjagung zuzulassen).».38

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Dogma-Revisionisten nicht deshalb falsch liegen, weil sie einen Wahlboykott befürworten, sondern weil sie ihn als Strategie propagieren, obwohl es sich hier in Wirklichkeit um eine rein taktische Frage handelt. Damit widersprechen sie nicht nur dem Marxismus-Leninismus-Maoismus, sondern revidieren ihn regelrecht. In der Tat revidieren sie sogar Gonzalos Denken und widersprechen offen dem, was Gonzalo selbst Anfang der 1980er Jahre schrieb:

Sie verstehen nicht, dass der Weg der Einkreisung der Städte vom Land aus der Weg für Revolutionen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern ist, genauso wie der Weg der Novemberrevolution der Weg für Revolutionen in den kapitalistischen Ländern ist. Das führt sie folglich dazu, in Bezug auf das Problem der Kräftesammlung zu sagen, dass die Kommunistischen Parteien sowohl in der ersten als auch in der zweiten Art von Ländern die Möglichkeiten der bourgeoisen Demokratie nutzen müssen, natürlich ohne dabei in parlamentarischen Kretinismus zu verfallen.

Das Problem ist somit folgendes: Es stimmt zwar, dass in den kapitalistischen Ländern, wenn es keine revolutionäre Situation gibt, die bourgeoise Demokratie einzig und allein zu Propaganda- und Agitationszwecken genutzt werden kann. Aber es ist falsch zu sagen, dass dasselbe in den kolonialen und halbkolonialen Ländern getan werden sollte, denn dort gibt es keine bourgeoise Demokratie, sondern feudale Unterdrückung, wenn auch in tausend verschiedenen Verkleidungen.39

Aber genug von diesem einen schlechten Artikel. Nicht nur in der Wahlfrage negieren die Dogma-Revisionisten die Dialektik zwischen Strategie und Taktik; sie beschränken sich immer und überall auf Agitation und Propaganda für ihre strategischen Ziele, ohne jemals einen Weg gefunden zu haben, diese strategischen Ziele mit ihren taktischen zu verbinden. Die dogma-revisionistische Strömung hat ihren Ursprung in der Ablehnung der angemessenen Taktik eines Friedensabkommens um den Volkskrieg in Peru zu beenden, die Gonzalo 1993 vorschlug und die notwendig war, um die revolutionären Kräfte zu erhalten und «zu überleben, um an einem anderen Tag zu kämpfen», da der Teil der Parteileitung, der noch frei war, den Kampf nicht mehr richtig fortsetzen konnte. Feliciano, der neue Generalsekretär, wurde von Gonzalo auf der dritten Plenarsitzung des Ersten Zentralkomitees der Partei noch vor dessen Verhaftung als der führende Rechtsopportunist und als «Trotskijist» bezeichnet. Stattdessen unterstützten sie die opportunistische Linie von Feliciano, die zur völligen Niederlage des bewaffneten Kampfes (der von der Militärwissenschaft des Proletariats zur Fokustheorie abgewichen war) im Jahr 1999 führte, genau wie Gonzalo es vorhergesagt hatte. Dies war etwas völlig anderes als das Friedensabkommen in Nepal im Jahr 2006, das zur Niederlage des Volkskriegs führte, als dieser in der Lage gewesen wäre, die politische Macht im ganzen Land zu erobern. Das soll natürlich nicht heissen, dass die Taktik des Friedensabkommens in Peru völlig korrekt angewandt wurde — wir sind anderer Meinung und haben unsere Kritikpunkte — aber es war dennoch die richtige Taktik, anders als in Nepal, und die Tatsache, dass die Dogma-Revisionisten als Strömung genau 1993 entstanden, als Gonzalo den Vorschlag machte, diese Taktik anzuwenden, weil sie dagegen waren, beweist, dass sie Konterrevolutionäre sind — ihre umgekehrte Taktik wurde von Feliciano zwischen 1992 und '99 verfolgt und führte zur strategischen Niederlage des Volkskriegs, während die Fraktion der Kommunistischen Partei Perus, die diese Taktik übernahm, auch heute noch existiert und tatsächlich eine grosse Massenbasis hat.

Unsere revolutionäre Strategie ist der Weg der Novemberrevolution: Schaffung einer Untergrundorganisation von Revolutionären, die in den Massen verwurzelt ist, Beeinflussung und Förderung der Organisation der arbeitenden Bevölkerung und Führung eines revolutionären Kampfes, dessen Hauptaspekt die revolutionäre Massenaktion (das heisst der politische Kampf) ist, um so die öffentliche Meinung zu polarisieren, den korporatistischen «sozialen Frieden» und die vorübergehende Stabilität des Regierungssystems zu untergraben und zu beseitigen, und durch die Ermächtigung der arbeitenden Bevölkerung Aufstände vorzubereiten und zu starten, die letztendlich zu einem langandauernden Klassenkrieg führen werden, alles geleitet von der Doktrin und der Militärwissenschaft der Arbeiterklasse; Jede Taktik, die wir anwenden, muss dieser Strategie dienen und sich einzig und allein in diesem Rahmen bewegen. Das ist es, was wir tun und was wir tun werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir keinen Unterschied zwischen offensiven und defensiven Taktiken sehen. Wie Lenin sagte: «[Kommunisten] müssen stets dazulernen. Sie haben gelernt, anzugreifen. Jetzt gilt es zu begreifen, dass diese Wissenschaft ergänzt werden muss durch die Wissenschaft, wie man sich richtig zurückzieht. Es gilt zu begreifen — und die revolutionäre Klasse lernt aus eigener bitterer Erfahrung begreifen — dass man nicht siegen kann, wenn man nicht gelernt hat, richtig anzugreifen und sich richtig zurückzuziehen. Von allen geschlagenen oppositionellen und revolutionären Parteien haben sich die Mehrheitler in grösster Ordnung zurückgezogen, mit geringsten Verlusten für ihre ‹Armee›, bei grösster Erhaltung ihres Kerns, unter geringsten Spaltungen (ihrer Tiefe und Unheilbarkeit nach), geringster Demoralisation und grösster Fähigkeit, die Arbeit möglichst umfassend, richtig und energisch wiederaufzunehmen.» «Es kommt nur darauf an, dass man es versteht, diese Taktik so anzuwenden, dass sie zur Hebung und nicht zur Senkung des allgemeinen Niveaus des proletarischen Klassenbewusstseins, des revolutionären Geistes, der Kampf- und Siegesfähigkeit beiträgt.» «Und die Mehrheitler haben das nur erreicht, weil sie die Phrasenrevolutionäre schonungslos entlarvten und davonjagten, die nicht begreifen wollten, dass man den Rückzug antreten und es verstehen muss, den Rückzug durchzuführen [...]38 Das bedeutet, dass wir wissen müssen, wie wir je nach den objektiven Bedingungen sowohl defensive als auch offensive Taktiken anwenden können, und zwar in einer Weise, die nicht im Widerspruch zu unserem strategischen Ziel der Eroberung der politischen Macht durch den bewaffneten Kampf steht.

Zusammenfassend müssen wir bei der Diskussion über unsere Wahltaktik bedenken, dass es sich hier um eine taktische und nicht um eine strategische Frage handelt und dass die von uns gewählte Taktik unserem strategischen Ziel, nämlich der Rekonstituierung der Kommunistischen Partei in der Schweiz, dienen muss.40

#2.3. KÖNNEN WIR DIE WAHLEN FÜR AGITATION UND PROPAGANDA NUTZEN?

Aber können die Schweizer Kommunisten heute das Parlament für ihre Agitation und Propaganda nutzen? Nein. Wie wir oben betont haben, ist dies eine rein taktische Frage, die wir auf der Grundlage unserer oben erwähnten konkreten Analyse der konkreten Situation in diesem Land beantworten können. Und was ist das Ergebnis dieser Analyse? Einfach die klaren Tatsachen, dass die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung nicht an der Wahlfarce teilnimmt; dass eine grosse Zahl von Lohnarbeitern aufgrund ihrer Nationalität oder ihres Alters entrechtet ist; dass man das Parlament aufgrund unzähliger Beschränkungen und Einschränkungen, die kleinen politischen Parteien auferlegt werden, nicht als Tribüne nutzen kann; dass das Referendum und die Initiative korporatistische Formen sind, die zwar kritisch zu nutzen sind, damit die Opportunisten (und insbesondere die Sozialdemokratische Partei) nicht mit dem Klassenkampf spielen und schachern können, aber niemals der Eroberung der politischen Macht dienen können; dass es für Arbeiterabgeordnete unter dem Milizsystem praktisch unmöglich ist, im Parlament zu sitzen; dass die Registrierung einer politischen Partei für die Wahlen der Überwachung, der staatlichen Kontrolle und der finanziellen Korruption Tür und Tor öffnet; und so weiter und so fort.

Wir rechnen damit, dass einige versuchen werden, Lenin gegen uns zu verwenden, obwohl Lenin selbst während der Russischen Revolution von 1905-07 einen Boykott befürwortete. Um solchen Argumenten zuvorzukommen, möchten wir Lenins Argument zitieren, warum es notwendig ist, reaktionäre Wahlen und Parlamente für Agitation und Propaganda zu nutzen. Er schrieb:

Der Parlamentarismus ist «historisch erledigt». Im Sinne der Propaganda ist das richtig. Aber jede/r weiss, dass es von da bis zur praktischen Überwindung noch sehr weit ist. Den Kapitalismus konnte man bereits vor vielen Jahrzehnten, und zwar mit vollem Recht, als «historisch erledigt» bezeichnen, das enthebt uns aber keineswegs der Notwendigkeit eines sehr langen und sehr hartnäckigen Kampfes auf dem Boden des Kapitalismus. Der Parlamentarismus ist im welthistorischen Sinne «historisch erledigt», das heisst, die Epoche des bourgeoisen Parlamentarismus ist beendet, die Epoche der Diktatur des Proletariats hat begonnen. Das ist unbestreitbar. Aber der welthistorische Massstab rechnet nach Jahrzehnten. 10 bis 20 Jahre früher oder später, das ist, mit dem welthistorischen Massstab gemessen, gleichgültig, das ist — vom Standpunkt der Weltgeschichte aus gesehen — eine Kleinigkeit, die man nicht einmal annähernd berechnen kann. Aber gerade deshalb ist es eine haarsträubende theoretische Unrichtigkeit, sich in einer Frage der praktischen Politik auf den welthistorischen Massstab zu berufen.

Der Parlamentarismus ist «politisch erledigt»? Das ist eine ganz andere Sache. [...]

[...] Wie kann man denn davon reden, dass der «Parlamentarismus politisch erledigt» sei, wenn «Millionen» und «Legionen» Proletarier nicht nur für den Parlamentarismus schlechthin eintreten, sondern sogar direkt «gegenrevolutionär» sind!? Es ist klar, dass der Parlamentarismus [...] politisch noch nicht erledigt ist. Es ist klar, dass die «Linken» [...] ihren eigenen Wunsch, ihre eigene ideologisch-politische Stellung für die objektive Wirklichkeit halten. [...] Für die Kommunisten [...] ist der Parlamentarismus natürlich «politisch erledigt», aber es kommt gerade darauf an, dass wir das, was für uns erledigt ist, nicht als erledigt für die Klasse, nicht als erledigt für die Massen betrachten. Gerade hier sehen wir wiederum, dass die «Linken» nicht zu urteilen verstehen, dass sie nicht als Partei der Klasse, als Partei der Massen zu handeln verstehen. Ihr seid verpflichtet, nicht auf das Niveau der Massen, nicht auf das Niveau der rückständigen Schichten der Klasse hinabzusinken. Das ist unbestreitbar. Ihr seid verpflichtet, ihnen die bittere Wahrheit zu sagen. Ihr seid verpflichtet, ihre bourgeois-demokratischen und parlamentarischen Vorurteile beim richtigen Namen zu nennen. Aber zugleich seid ihr verpflichtet, den tatsächlichen Bewusstseins- und Reifegrad eben der ganzen Klasse (und nicht nur ihrer kommunistischen Vortruppe), eben der ganzen arbeitenden Masse (und nicht nur ihrer fortgeschrittensten Vertreter) nüchtern zu prüfen.

Selbst wenn keine «Millionen» und «Legionen», sondern bloss eine ziemlich beträchtliche Minderheit von Industriearbeitern den katholischen Pfaffen und von Landarbeitern den Junkern und Grossbauern nachläuft, ergibt sich schon daraus unzweifelhaft, dass der Parlamentarismus in Deutschland politisch noch nicht erledigt ist, dass die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne für die Partei des revolutionären Proletariats unbedingte Pflicht ist, gerade um die rückständigen Schichten ihrer Klasse zu erziehen, gerade um die unentwickelte, geduckte, unwissende Masse auf dem Lande aufzurütteln und aufzuklären. Solange ihr nicht stark genug seid, das bourgeoise Parlament und alle sonstigen reaktionären Institutionen auseinanderzujagen, seid ihr verpflichtet, gerade innerhalb dieser Institutionen zu arbeiten, weil sich dort noch Arbeiter befinden, die von den Pfaffen und durch das Leben in den ländlichen Provinznestern verdummt worden sind. Sonst lauft ihr Gefahr, einfach zu Schwätzern zu werden.

[...]

Daraus ergibt sich eine ganz unbestreitbare Schlussfolgerung: Es ist bewiesen, dass sogar einige Wochen vor dem Siege der Räterepublik, ja sogar nach diesem Siege die Beteiligung am bourgeois-demokratischen Parlament dem revolutionären Proletariat nicht nur nicht schadet, sondern es ihm erleichtert, den rückständigen Massen zu beweisen, weshalb solche Parlamente es verdienen, auseinandergejagt zu werden, es ihm erleichtert, sie mit Erfolg auseinanderzujagen, es ihm erleichtert, den bourgeoisen Parlamentarismus «politisch zu erledigen».38

Dieses Argument ist in der Tat sehr stichhaltig und überzeugend und verdient es, ernst genommen zu werden. Es ist unsere Aufgabe, den Marxismus und das Leitdenken der Partei (die historische Theorie und Praxis des linken Parteiflügels, hauptsächlich vertreten durch Jakob Herzog) zu helvetisieren und zu modernisieren. Dies kann nur geschehen, indem wir sie kreativ mit unseren konkreten Bedingungen im Hier und Jetzt verbinden. Was entgegnen wir also Lenin?

Erstens stimmen wir mit dem grundsätzlichen Kriterium überein, dass die taktische Frage, ob man an den Wahlen teilnimmt oder sie boykottiert, genau das ist: eine rein taktische Frage ist, die davon abhängt, ob die arbeitende Bevölkerung tatsächlich Vertrauen in das Regierungssystem hat oder nicht.

Zweitens ist es, wie wir in Abschnitt 1.5 bewiesen haben, unter den Arbeitenden in der Schweiz hauptsächlich eine Minderheit, nämlich die stimmberechtigten Demokraten (siehe Abschnitt 2.4), die sich tatsächlich an der Wahlfarce beteiligen. Es gilt also, zuerst die Nichtwähler zu gewinnen, bevor man die Wähler gewinnt, denn wir Kommunisten befinden uns noch im Prozess der Rekonstituierung unserer Partei und haben daher im Moment nicht die Kräfte, beides gleichzeitig zu tun.

Drittens ist es, wie wir in Abschnitt 2.4 erläutern werden, für die Kommunistische Partei nicht von Vorteil, selbst im Parlament zu arbeiten, sondern mit anderen politischen Parteien in einer sozialistischen Einheitsfront zusammenzuarbeiten, um die rückständigen Teile der Massen zu gewinnen. Die Partei ist und muss bis zur Eroberung der politischen Macht im ganzen Land eine Untergrundorganisation bleiben, und das ist grundsätzlich unvereinbar mit einer offenen Wahl- und Parlamentstätigkeit im modernen Überwachungskapitalismus.

Daher ist es nicht unsere Aufgabe, die Nichtwähler zurück in den Wahlzirkus zu führen, sondern sie zu mobilisieren, aufzuklären, organisieren und für den kommenden revolutionären Kampf zu bewaffnen. Wie Herzog sagte:

Was ist die Ursache, dass in diesen Ländern [in denen bis jetzt in den Parlamenten überhaupt noch keine revolutionäre Tätigkeit nach russischem Muster ausgeübt worden ist, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern schon längst für eine proletarische Revolution reif war] das Proletariat in der revolutionären Taktik so zurück ist? Eben deshalb, weil in diesen Republiken und Demokratien die Möglichkeit der Lebensverbesserung des Proletariats vorhanden war. Es war dort möglich, mit Hilfe des Parlamentarismus viele gute Reformen für das Proletariat zu erreichen, und weil dies möglich war, ist es begreiflich, dass dort keine revolutionäre Aktivität aufkommen konnte. Das ist der Grund, weshalb in diesen Ländern die Arbeiterschaft sich so langsam zur Revolution durchringt und sich so schwer die revolutionäre Tatkraft, die bei den Russen vorhanden ist, aneignet.

In Russland war es ganz anders. Das Proletariat konnte nicht legal arbeiten. Es konnte dort nicht Reformen durchdrücken und seine Lage verbessern. Es musste auf die Strasse gehen und revolutionäre Aktionen durchführen. Und darum konnte sich hier in Russland kein Parlamentarismus entwickeln, wie in den westeuropäischen Ländern.41

Auch unsere Partei schrieb zu dieser Zeit:

Soll sich die Kommunistische Partei der Schweiz an den Wahlen beteiligen, dass heisst etwa eigene Kandidaten ins Parlament entsenden? Dies ist im heutigen Moment eine Kräfteverschwendung, die den Anfang gegenrevolutionärer Tätigkeit bedeuten würde. Was bisher auf dem Gebiete der Propaganda geleistet wurde, einer Propaganda und Agitation, die in den Massenorganisation der Arbeiter in den Gewerkschaften betrieben wurde, ist nie und nimmer der bisheringen Tätigkeit im Parlament zuzuschreiben; im Gegenteil, alles, was aus diesen Schwatzbuden kommt, ist durch die fortschreitende Entwicklung schon überholt. Alle die Gesetze wirken geradezu hemmend auf die ganze Arbeiterbewegung.42

In Anbetracht dieser Tatsachen muss unsere Taktik der aktive Wahlboykott sein. Dies ist die einzig mögliche Taktik angesichts der oben dargelegten Tatsachen.

Was die Frage der Referenden und Initiativen betrifft, die wir bereits oben analysiert haben, zitieren wir erneut Lenin. Er wies darauf hin:

Ausnutzung [...] des Rechtes der Initiative und des Referendums nicht im reformistischen Sinne, das heisst nicht zur Verteidigung der Reformen, die für die Bourgeoisie «annehmbar» sind und die eben deshalb ohnmächtig sind, die wichtigsten und radikalsten Übel im Leben der Massen zu beseitigen, sondern zur Propagierung der sozialistischen Umgestaltung der Schweiz. Eine solche Umgestaltung ist ökonomisch vollständig verwirklichbar und wird immer dringender notwendig sowohl wegen der unerträglichen Teuerung und des Druckes des Finanzkapitals als auch auf Grund der internationalen Verhältnisse, die als Folge des Krieges entstehen und das Proletariat von ganz Europa auf den Weg der Revolution drängen.43

Wir sind mit dieser Argumentation völlig einverstanden. Auch wenn die Referenden und Initiativen, wie oben dargelegt, korporatistische Auflagen sind, so bieten sie doch eine Möglichkeit, die rückständigen Teile der Massen für die Ideen des Sozialismus und Kommunismus zu gewinnen. Im Gegensatz zu den Parlamentswahlen ist die Beteiligung an den Referenden und Initiativen in der Schweiz nach wie vor relativ hoch (57,2% im Jahr 2021 laut Bundesamt für Statistik), ebenso wie das Vertrauen gewisser Bevölkerungsgruppen in sie. Deshalb müssen wir sie, wie unsere Partei schon vor langer Zeit betont hat, genau im Sinne Lenins nutzen, um der arbeitenden Bevölkerung zu beweisen, dass die Referenden und Initiativen ihnen keinen Ausweg aus dem Kapitalismus bieten. Zur Initiative über die 48-Stunden-Woche im Jahr 1920 schrieb unsere Partei:

Der Nationalrat hatte, um sich ein reformistisches Mäntelchen zu geben, um fortschrittlich, im Sinne des sozialen Friedens zu gelten, dieses Gesetz angenommen. Gleich darauf mobilisierte der reaktionäre Teil aber die Offensive dagegen. Das Referendum wurde glänzend durchgeführt, einige tausend ungültige Stimmen tun der «Ehrlichkeit» der schweizerischen Demokratie keinen Abbruch. Die bourgeoisen politischen Parteien verhielten sich neutral, denn bei einer entschiedenen Bekämpfung der Gegner des Arbeitszeitgesetzes wäre die nötige Stimmenzahl nicht zustande gekommen. Nun fragen wir uns: Dürfen wir angesichts der Geschlossenheit der Bourgeoisie uns in diesem parlamentarischem Kampfe, dessen Resultat sofort auf dem wirtschaftlichen Leben sichtbar ist, neutral verhalten? Ich sage nein. Man mag mir erwidern: eine Niederlage der eidgenössischen Angestellten würde diese revolutionieren. Mit nichten! Die Einheitsfront des Proletariats wird nicht durch die Verelendungstheorie geschaffen. Die eidgenössischen Beamten würden höchstens noch konservativer, liesse das Industrieproletariat sie in diesem Kampfe im Stiche. Die Solidarität des Industrieproletariates mit den eidgenössischen Angestellten kann man nicht aus dem Kopfe heraus konstruieren. Die Erreichung der 48-Stundenwoche ist heute ein parlamentarischer Kampf, wofür wir Kommunisten nichts können.

Neutralität im parlamentarischen Kampf um den 8-Stundentag wäre nicht Antiparlamentarismus, sondern politische Neutralität. Wir haben den eidgenössischen Angestellten offen zu sagen, dass die Stunde bald schlagen wird, wo die bürgerliche Demokratie auch ihren Forderungen Grenzen setzen wird, und dass nur die Massenaktion der gesamten Arbeiterschaft das Joch aller Lohnsklaven abstreifen können. Die riesig steigende Teuerung wird nicht das übrige tun, das Denken aller rückständigen, im Fahrwasser der Demokratie segelnden Arbeiter zu revolutionieren. Mögen unsere Kameraden den richtigen Entscheid treffen.44

#2.4. WIR BRAUCHEN EINEN AKTIVEN BOYKOTT, KEINE PASSIVE WAHLENTHALTUNG

Während der russischen Revolution von 1905-07 sprach sich Lenin für «den
vollständigen und entschiedenen Boykott der
[...] Wahlen» and «eine breite Agitation zwecks Verwirklichung des allgemeinen Wahlrechts»45 aus. Er stellte fest:

[Wir müssen] alles daransetzen, damit der Boykott realen Nutzen im Sinne der Erweiterung und Vertiefung der Agitation bringt und nicht auf eine einfache, passive Wahlenthaltung beschränkt bleibt. Dieser Gedanke ist, wenn wir nicht irren, unter den in Russland wirkenden Genossen schon ziemlich weit verbreitet und wird von ihnen in die Worte gefasst: aktiver Boykott. Im Gegensatz zur passiven Enthaltung muss der aktive Boykott eine verzehnfachte Agitation bedeuten, die Abhaltung von Versammlungen überall und allerorts, die Ausnutzung der Wahlversammlungen, sei es auch dadurch, dass man gewaltsam in sie eindringt, die Veranstaltung von Demonstrationen, politischen Streiks und so weiter, und so fort [...]. Aber eine solche Arbeit ist undenkbar ohne eine klare, genaue und direkte Losung.37

Diese Losung lautet, unter die schaffenden Massen zu gehen, sie auf der Grundlage ihrer eigenen konkreten Forderungen zu mobilisieren, sie in Basisorganisationen zu organisieren, die von den Ideen der Partei beeinflusst werden können, und für die Bildung von Abgeordnetenräten der arbeitenden Bevölkerung zu kämpfen, um die Revolution Schritt für Schritt vorzubereiten. Das ist ohne einen aktiven Wahlboykott und eine gleichzeitige Kampagne für das allgemeine Wahlrecht — was für uns das Recht von Migranten und Jugendlichen bedeutet, die Wahlen aktiv zu boykottieren und für die Rätedemokratie zu kämpfen — nicht denkbar.

Wir brauchen keinen passiven Enthaltungstrend, sondern eine aktive Boykottkampagne. Betrachtet man die Schweizer Bevölkerung, so kann man sie je nach politischem Bewusstsein in die folgenden allgemeinen Gruppen einteilen, von ganz links bis ganz rechts:

  • Kommunisten, das heisst, diejenigen, die den Klassenstandpunkt des internationalen Proletariats vollständig einnehmen, indem sie sich die Ideologie des Marxismus-Leninismus-Maoismus zu eigen machen, der Kommunistischen Partei beitreten und für eine kommunistische Gesellschaft kämpfen.
  • Revolutionäre Sozialisten, das heisst, diejenigen, die teilweise den Klassenstandpunkt des Proletariats einnehmen, indem sie für eine sozialistische Revolution kämpfen.
  • Fortschrittliche, das heisst, diejenigen, die den Klassenstandpunkt der unteren Kleinbourgeoisie einnehmen, indem sie für radikale soziale Veränderungen im Interesse des Volkes ohne Rücksicht auf das Gesetz kämpfen.
  • Demokraten, das heisst, diejenigen, die den Klassenstandpunkt der oberen Kleinbourgeoisie einnehmen, indem sie für die Verteidigung, den Erhalt und die Ausweitung der Volksrechte im Rahmen des parlamentarischen Systems kämpfen.
  • Patrioten, das heisst diejenigen, die den Klassenstandpunkt der mittleren Bourgeoisie einnehmen, indem sie sich den Beschränkungen widersetzen, die das Monopolkapital der Wirtschaft auferlegt, und den Einfluss der Grossmächte und der mächtigeren imperialistischen Mächte, wie Deutschland und Frankreich, auf die Schweiz bekämpfen.
  • Nationalisten, das heisst, diejenigen, die den Klassenstandpunkt der Grossbourgeoisie einnehmen und den Imperialismus unterstützen.
  • Totalisten, das heisst, diejenigen, die den Klassenstandpunkt der rückständigsten und aggressivsten Elemente der Grossbourgeoisie einnehmen.

Unter den objektiven Bedingungen, die heute in der Schweiz herrschen, ist es notwendig, dass die Kommunisten sich mit den revolutionären Sozialisten, den Fortschrittlichen und den Demokraten vereinigen, sie überzeugen und sie zu leiten lernen, dass sie die Patrioten überzeugen, sich uns nicht zu widersetzen, und dass sie gegen die Nationalisten und die Totalisten kämpfen.

Allgemein betrachtet sind diejenigen, die sich der Wahlfarce enthalten, die Kommunisten, die revolutionären Sozialisten und die Fortschrittlichen, während die Demokraten entweder nicht wählen, leere Stimmzettel abgeben oder ihre Stimmzettel ungültig machen oder für nicht monopolkapitalistische politische Parteien oder bourgeoise Arbeiterparteien stimmen.

Da es für die relativ wenigen Kommunisten unmöglich ist, die grosse Masse der Nichtwähler ohne die Unterstützung der revolutionär-sozialistischen und der fortschrittlichen Kräfte zu führen, ganz zu schweigen davon, die Patrioten davon zu überzeugen, sich der Revolution nicht zu widersetzen, müssen die Kommunisten ihre Anstrengungen zunächst darauf konzentrieren, sich mit den am weitesten links stehenden Teilen der Schweizer Bevölkerung (das heisst, die Nichtwähler) zu vereinen, indem sie zuerst die Kommunistische Partei rekonstituieren, eng mit den revolutionären Sozialisten zusammenarbeiten und lernen, mit den Fortschrittlichen zusammenzuarbeiten, ohne zu vergessen, an die Demokraten zu appellieren und ihre parlamentarischen Illusionen zu widerlegen. Aber alles zu seiner Zeit.

Der linke Flügel der Nichtwähler besteht aus den Revolutionären, also denjenigen, die das gesamte scheinparlamentarische Regierungssystem bewusst ablehnen und eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft wollen, egal ob sie Sozialisten, Anarchisten, Volkstümler oder sonst etwas sind. Die Zentristen unter den Nichtwählern sind die Fortschrittlichen, die dem Regierungssystem gegenüber apathisch sind und sich von ihm nicht vertreten fühlen. Der rechte Flügel der Nichtwähler besteht aus den Demokraten, die wenig bis gar kein Vertrauen in die Wahlen selbst haben, aber der Meinung sind, dass die politischen Parteien der parlamentarischen «Linken» oder «Mitte» «Gutes tun können». Eine Besonderheit der Wahlen in der Schweiz ist zudem, dass sich auch viele Patrioten nicht an den Wahlen beteiligen, weil sie das Gefühl haben, dass die Einheitsregierung sie bereits vertritt und sich nicht zu ändern braucht.

Wir können also zu dem Schluss kommen, dass die Nichtwähler, das heisst diejenigen, die entweder den Klassenstandpunkt der einen oder anderen Klasse die Teil des Volkes ist einnehmen, oder die entrechtet sind, die strategische gesellschaftliche Basis für die Schweizer Revolution sind, während die Patrioten, von denen viele auch nicht wählen gehen, überzeugt werden müssen, sich nicht gegen die Revolution zu stellen, indem an ihre Interessen appelliert wird, trotz ihres reaktionären Klassenstandpunkts. Gemäss einer wissenschaftlichen Umfrage aus dem Jahr 2011 neigen rund 65% der Schweizer Bevölkerung eher zum Vertrauen in den Bundesrat und die politischen Behörden als zum Misstrauen. Wenn wir davon ausgehen, dass in dieser Zahl auch die rund 70% der Wähler, also rund 18% der Gesamtbevölkerung, enthalten sind, die bei den eidgenössischen Wahlen 2019 andere Parteien als die Sozialdemokraten, die Grünen, die Solidarité oder die Partei der Arbeit gewählt haben, dann sind es rund 47% der Bevölkerung, die nicht wählen gehen, aber der Regierung eher vertrauen. Diese Personen bilden die nicht wählenden Patrioten in der Schweiz, während die rund 30% der Wähler oder etwa 8% der Gesamtbevölkerung, die die oben genannten Parteien gewählt haben, die wählenden Demokraten bilden. Bleiben 27% der Gesamtbevölkerung, die nicht wählen oder nicht wählen können und das Regierungssystem ablehnen, also die Kommunisten, Revolutionäre und Fortschrittlichen, also rund 2'300'000 Personen. Dies ist die perspektivische gesellschaftliche Basis der revolutionären Bewegung in der Schweiz, von der ein grosser Teil für die Revolution gewonnen werden muss, bevor davon die Rede sein kann, «das Parlament als Tribüne zu benutzen», um die rund 690'000 wählenden Demokraten zu überzeugen, oder zu versuchen, die Patrioten davon zu überzeugen, sich nicht gegen die Revolution zu stellen.

Natürlich müssen wir hier anmerken, dass es sich um eine Analyse des politischen Bewusstseins der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Schweiz handelt und nicht um eine Klassenanalyse. Eine Klassenanalyse ist viel zuverlässiger, um den Prozentsatz der Bevölkerung zu bestimmen, der ein objektives Interesse an der Unterstützung der Revolution hat. Das politische Bewusstsein der verschiedenen Klassen und Schichten wird sich im Zuge der politischen Polarisierung, die das Wachstum der revolutionären Bewegung notwendigerweise mit sich bringen wird, stärker auf ihre objektiven Interessen ausrichten.

Zusammenfassend: Warum ein aktiver Boykott? Weil das der beste Weg ist, sich mit der grossen Masse von Nichtwählern zu vereinen, die die zukünftige gesellschaftliche Basis der revolutionären Bewegung in diesem Land darstellen, deren linker Flügel (der zuerst gewonnen werden muss) aus jenen besteht, die das scheinparlamentarische System ausdrücklich ablehnen und deshalb an einer solchen Kampagne teilnehmen oder sie unterstützen würden, und deren Mitte (an die bereits appelliert werden muss) aus jenen besteht, die bereit sind, mit den legalen Institutionen der Kapitalisten zu brechen, um die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung zu verbessern. Daher ist ein aktiver Boykott die einzige Lösung, und aufgrund der besonderen Bedingungen der Entrechtung vieler arbeitender Menschen in der Schweiz muss dies notwendigerweise, wie in Russland zu Lenins Zeiten, mit einer Kampagne für ein wirklich allgemeines Wahlrecht verbunden werden, was für uns das allgemeine Recht bedeutet, die Wahlen zu boykottieren. Wie Lenin sagte:

Einführung der kostenlosen Zwangseinbürgerung der Ausländer in der Schweiz. Jede/r Ausländer/in, nachdem er/sie drei Monate in der Schweiz verbracht hat, wird zum/zur Schweizer Bürger/in, wenn er/sie nicht auf Grund besonderer Umstände um Verschiebung dieses Termins bittet (und zwar nicht mehr als auf weitere drei Monate). Aufklärung der Massen über die besondere Dringlichkeit dieser Reform für die Schweiz sowohl vom allgemein-demokratischen Standpunkte als auch deswegen, weil die imperialistische Umgebung der Schweiz sie zu einem Staate mit dem höchsten Prozentsatz an Ausländern in ganz Europa gemacht hat. Neun Zehntel (genauer: 96%) der sich in der Schweiz befindenden Ausländer sprechen eine von den drei in der Schweiz verbreiteten Sprachen. Die politische Rechtlosigkeit der ausländischen Arbeiter und deren Lage als Fremde stärkt die politische Reaktion, die auch sonst im Wachsen ist, und schwächt die internationale Solidarität des Proletariats.43

Und wie unsere Partei in Bezug auf den Kampf für das Frauenwahlrecht erklärte:

Den Sozialdemokraten, die die Gleichberechtigung der proletarischen Frau darin sehen, für dieselbe das Stimmrecht zu erlangen, sie an unsere «Demokratie» und unser altes Scheinparlament zu fesseln; geht doch der «Klassenkampf» in Parlamentarismus über alles auf. Soll die Aufklärung der Frauen vom Berner Bundeshaus aus erfolgen? Will man die Bourgeoisie-Dämchen, deren gesellschaftliche Funktion in Verzehren und Verfressen der gestohlenen Arbeitsprodukte besteht, zur Stütze des Klassenstaates herbeiziehen? Nein, lassen wir sie auch weiter ihrer «Kultur» frönen, die ausschliesslich durch die Lage ihrer verschiedenen Abenteurer, Geliebten und «Freunde» bestimmt wird. Die Arbeiterklasse kennt auch nur noch Klasseninteressen; das Wort der Demokratie wird erst Wirklichkeit im reinen Klassenstaat des arbeitenden Volkes, den Räten. Gleichbereichtigung der arbeitenden Frau heisst nicht Wahlrecht; Gleichberechtigung der Frau bedeutet Klassenkampf, Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft, Errichtung der Diktatur des Proletariats.46

Eine wichtige und unmittelbare Aufgabe dieser Wahlboykottkampagne ist letztlich der Aufbau einer sozialistischen Einheitsfront in Form von Bündnissen zum Boykott der Parlamentswahlen in diesem Land, und wir Kommunisten sollten alle Bemühungen unterstützen und/oder uns an ihnen beteiligen, die zu diesem Ziel führen, auch wenn diese Unterstützung kritisch und bedingt ist. Wir sollten uns jedoch immer vor Augen halten, dass es nicht unsere Aufgabe als Kommunisten ist, diese oder jene Menge an Plakaten aufzuhängen oder viel Aufsehen zu erregen, sondern geduldige und prinzipienfeste Massenarbeit zu leisten. Wie die Partei einmal sagte:

Wohl befinden wir Kommunisten uns heute noch in Minderheit, auch im Proletarierlager, weil die Arbeiter nur die Rattenfängergesänge der Bourgeoisie und der Sozialpatrioten zu hören bekommen. Aber das wird sich schon ändern, unsere Minderheit wird zur Mehrheit werden. Die Arbeiterschaft wird sich bald von der Richtigkeit unserer Ideen überzeugen lassen. Heute verunmöglicht man uns das. Die kommende Revolution wird uns die notwendige Freiheit bringen und ist sie im Laufe, dann wird die schweizerische Arbeiterklasse im Anschluss und engstem Zusammenwirken mit dem revolutionären Weltproletariat alle Machtmittel der Bourgeoisie auch ihre geistigen Waffen beseitigen, und durch die eigene Bewaffnung und Schaffung von Arbeiterwehren, seine wirtschaftliche und politische Macht bis zur Unüberwindlichkeit sichern.47

#2.5. DER AKTIVE BOYKOTT DIENT DER REKONSTITUTION DER PARTEI

Wie wir oben dargelegt haben, dienen Wahlboykottkampagnen den Kommunisten folgendermassen: sie dienen der Vereinigung auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus-Maoismus, mit dem Ziel, die Partei zu rekonstituieren; die ideologische und politische Führung der revolutionär-sozialistischen Bewegung zu erobern; und um zu lernen, wie wir mit unseren Verbündeten, den Progressiven und den nicht wählenden Demokraten, zusammenarbeiten können. In diesem Sinne hat die Wahltaktik der Partei einen strategischen Charakter, denn sie dient der Rekonstituierung der Partei und der Vorbereitung der proletarisch-sozialistischen Revolution in der Schweiz.

Wie Lenin betonte, bedeutet ein aktiver Boykott im Wesentlichen, eine gründliche ideologische, politische und organisatorische Arbeit unter den Massen der arbeitenden Menschen zu leisten — sie schrittweise für den Klassenkampf zu mobilisieren, sie in Studiengruppen zu schulen, sie zu ermutigen, Basisorganisationen zu gründen, und sie (letztendlich) in Selbstverteidigungsorganisationen zu bewaffnen. All dies muss um die Achse der Kommunistischen Partei herum geschehen, die in ihrem Rekonstituierungssprozess gleichzeitig ihre eigenen Parteiorganisationen wiederaufbaut und die Arbeiterklasse bei der Wiederbelebung der Arbeiterbewegung und der revolutionären Bewegung anführt. Dies ist ein komplexer Prozess des miteinander verbundenen Aufbaus der revolutionären Instrumente zur Vorbereitung auf den kommenden Klassenkrieg. Es ist auch der Prozess der tiefen Verwurzelung der Kommunistischen Partei, der politischen Partei der klassenbewussten Arbeiter, unter den Lohnarbeitern und der schaffenden Bevölkerung dieses Landes.

Nicht jeder, vor allem nicht die tiefsten und breitesten Massen von ungelernten Arbeitern, Lernenden, Arbeitern ohne Papiere, Halbproletariern, Landarbeitern und so weiter, ist in der Lage, die gleiche Menge an Zeit, Anstrengungen und materiellen Ressourcen zur revolutionären Bewegung beizutragen. Aber der Wahlboykott ermöglicht es jedem, seinen Teil beizutragen, egal wie klein er auch sein mag. Er ermöglicht es der Partei, mit den Massen in Kontakt zu treten, ihre konkreten Missstände kennenzulernen und sie zum Kampf dagegen zu mobilisieren; er ermöglicht es der Partei, für ihre Politik zu werben und ihre Weltanschauung zu propagieren; er ermöglicht es der Partei, den Massen zu helfen, Basisorganisationen in den Arbeiter- und Armenvierteln und an den Arbeitsplätzen und perspektivisch in den Halteplätze der Fahrenden, den Dörfern, den Militäreinheiten, den Schulen und allen möglichen Einrichtungen, in denen schaffende Menschen anzutreffen sind, aufzubauen; er ermöglicht es der Partei, in Zukunft die Massen und insbesondere die Arbeiter über die Notwendigkeit der bewaffneten Selbstverteidigung als Voraussetzung für die gewaltsame sozialistische Revolution zu unterrichten. Und vor allem wird die Partei bei all dem stolpern und fallen, wieder aufstehen, nochmal stolpern und fallen und wiederum aufstehen und allmählich lernen, sich innerhalb der arbeitenden Bevölkerung der Schweiz durchzusetzen. Leonie Kascher, die Mitgründerin unserer Partei, sagte einst:

Genossinnen und Genossen! Neben der Sozialistischen Partei und der Sozialistischen Jugendorganisation existiert in der Schweiz noch eine kleine, aber zielbewusste kommunistische Bewegung.

Die Wurzel und die Schule dieser kommunistischen Bewegung liegt in der Zimmerwalder Linken, deren Geist auch bei uns in der Schweiz verbreitet war.

Was wir von der Zimmerwalder Linken gelernt haben, ist, Massenaktion zu verlangen, und zwar nicht in weiter Zukunft, sondern schon in dem gegenwärtigen Moment. [...]

Wir wussten schon, es gibt ein Ziel — die Eroberung der Macht, aber die Schweizer Arbeiterschaft begnügt sich nicht mit diesen allgemeinen Zielen, sie sucht eine klar umschriebene Parole, sie ist praktisch, sie will wissen, wozu sie in den Kampf tritt.2

Doch unter den heutigen Bedingungen, in den praktischen Kämpfen der Arbeiterklasse, wird die Partei lernen, sie nicht nur für die grossen Schlachten zu mobilisieren, sondern auch für die kleinen — mit dem Ziel, alle und jeden zu nutzen, wie Lenin sagte. Wir stützen uns auf die Massen, nicht auf die wirtschaftliche Hilfe des Staates oder «wohlmeinender» Bourgeois. Es sind die Massen, die uns ihre Sofas zum Schlafen leihen, wenn wir nach einer langen Sitzung den Zug nach Hause verpassen; die uns das wenige Geld geben, das sie am Ende des Monats übrig haben, um unsere Arbeit fortzusetzen und die Kameraden, die sich beruflich mit revolutionärer Arbeit beschäftigen, logistisch zu unterstützen; die uns ihr zusätzliches Zimmer zur Verfügung stellen, um Sitzungen abzuhalten; die helfen, Unterkünfte und Jobs für Kameraden zu organisieren; die für uns Spenden sammeln, wenn Kameraden Repressionen ausgesetzt sind; die uns helfen, Überwachung zu vermeiden, indem sie ihre legalen Identitäten für notwendige Zwecke zur Verfügung stellen; und die uns sogar ihre alten Kleider geben, wenn Kameraden anfangen, mehr Löcher als Stoff zu tragen. Ohne die Massen kann nichts getan werden; aber mit den Massen können alle Wunder vollbracht werden, wie Mao Zedong sagte, und diese Wahrheit setzt sich in den Köpfen unserer Kameraden im Zuge der Wahlboykottkampagne und anderer wichtiger Basisarbeit mehr und mehr durch.

Darüber hinaus lernt die Partei, die Ideologie des Proletariats, den Marxismus-Leninismus-Maoismus und das Leitdenken der Partei (die Theorie und Praxis des Kameraden Jakob Herzog) zu studieren und vor allem auf die konkreten Probleme, Forderungen und Kämpfe der arbeitenden Bevölkerung anzuwenden; die Geschichte der schweizerischen revolutionären Bewegung und der schweizerischen Gesellschaft in den letzten 175 Jahren zu studieren, um daraus Lehren zu ziehen; und diese Lehren im Hinblick auf die heute herrschenden objektiven Bedingungen weiterzuentwickeln.

All dies dient konkret der Rekonstituierung der Partei, was wiederum der proletarisch-sozialistischen Revolution in der Schweiz dient. Das ist die tatsächliche strategische Bedeutung der Wahlboykotttaktik, und sie hat nichts mit leeren Slogans über «strategische Offensiven» und «Abgrenzung vom Revisionismus» zu tun.

#3. WEG MIT DER EINHEITSREGIERUNG! KÄMPFT FÜR EINE REGIERUNG DER SCHAFFENDEN BEVÖLKERUNG!

Aber die Ablehnung und der Boykott der Wahlen sind nicht genug. Das wird die bestehende Ordnung in diesem Land nicht ändern, es wird den Kapitalismus nicht abschaffen, es wird diesen verrotteten Staat nicht beseitigen, und es wird der schaffenden Bevölkerung nicht das geben, was sie wollen und verdienen: Eine ehrliche Arbeit, ein gutes Leben und politische Macht für die schaffende Mehrheit — oder, wie die Partei zu sagen pflegte: Arbeit, Brot und Macht. Was tun wir gegen dieses reaktionäre, scheinparlamentarische, neokorporatistische Regierungssystem, die kapitalistische Klassenherrschaft, die es verbirgt, und diese ganze globalisierte monopolkapitalistische Gesellschaftsform, die sie mittels der Ignoranz und der Waffen aufrechterhalten?

Dasselbe, was die Vorfahren der Schweizer Kapitalisten 1847 mit den Urschweizern gemacht haben. In den Worten von Friedrich Engels sind «die Enkel Tells und Winkelrieds durch keine anderen Gründe zur Raison zu bringen [...] als durch Kanonenkugeln».9 Mit anderen Worten: Die heutige Schweizer Gesellschaft muss durch eine gewaltsame Revolution zerstört werden und aus ihrer Asche muss eine neue Gesellschaft entstehen. Aus den Trümmern der bourgeoisen Demokratie muss das neue System der Rätedemokratie aufgebaut werden. Dazu schrieb die Partei:

Und wie steht es mit der Schweiz? Wir haben bekanntlich die sogenannte «älteste Demokratie». Wir wollen [...] den geschichtlichen Schwindel der «ältesten Demokratie» nicht untersuchen. Die Bourgeoisie hat die formale Demokratie im letzten Jahrhundert mit Hilfe der bonapartischen Truppen eingeführt. Wie in Frankreich wurde damals der Adel und die Zopfaristokratie niedergeworfen und die bourgeoise Republik eingeführt. Mit den noch übriggebliebenen feudalen Resten räumte es im Laufe des letzten Jahrhunderts in den Freischarzügen und im Sonderbundskrieg auf.

Darum gilt es für das schweizerische Proletariat die Aufgabe, sofort, trotz Diktatur der Bourgeoisie, sofort mit dem Aufbau der Betriebs- und Arbeiterräte zu beginnen. Und weil wir nicht eine bourgeoise Revolution und ein desorganisiertes Staatswesen ausnützen können, wie es unsere Geschwister im Osten und Norden konnten, weil wir einem schroff organisierten Bourgeoisiestaat gegenüber stehen, wir diese Arbeit nur viel mehr Mühe und Opfer kosten, als die Klassengenossen im Osten und Norden bringen mussten, das sind wir uns wohl bewusst. Die Opfer dürfen wir jedoch nicht scheuen, die Opfer müssen wir bringen und diese Opfer werden dem Proletariat hundert mal mehr Nutzen bringen, als alle die unzähligen Opfer, die es im kapitalistischem Produktionsprozess und im Kampf um soziale Reformen gebracht hat.48

Die Diktatur wird durch den revolutionären Umsturz, durch die Vernichtung der bourgeoisen Staatsmaschine in Erscheinung treten. Sie ist und kann nur ein Produkt der Revolution sein. Der Kommunismus kann nur als ein Ganzes in Wirksamkeit treten. Solange noch irgend ein Teil der alten bourgeoisen Institution überbleibt, ist die Gefahr, in den alten Zustand zu fallen. Das Hineinwachsen in die sozialistische Gesellschaftsform ist eine Utopie. Das sehen wir am besten in Deutschland und Österreich. Die Reaktion erhebt dort wieder ihr Haupt und alle Sozialisierungsbestrebungen werden illusorisch gemacht. Die Quelle der kapitalistischen Hydra, die Banken und die Börsen werden als Sieger hervorgehen. Als Hauptgrundsatz soll für uns gelten: «die Wirtschaft ist die Macht». Denn die Wirtschaft diktiert. Was nützt uns die politische Macht (Nationalrat, Nationalversammlung und so weiter), wenn die Wirtschaft in den Händen der Bourgeoisie liegt?49

Das System der Rätedemokratie, das System der Abgeordnetenräte der arbeitenden Bevölkerung, ist die Antwort der Kommunisten auf die Frage, was unsere Alternative ist. Die Eroberung der politischen Macht für die schaffende Bevölkerung, die Errichtung der Rätedemokratie und die Schaffung einer sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft ist der grundlegende Aspekt im Leitdenken der Partei, das heisst in ihrer historischen Theorie und Praxis. Im Manifest der Partei von 1918, das von der Kameradin Leonie Kascher im Gefängnis verfasst wurde, heisst es:

Arbeiter, Genossen, lernen wir von den uns umgebenden Ländern. Neue Zeiten erfordern auch neue Kampfformen und diese Kampfformen, die allein die Gewähr bieten, dass wir aus den kommenden Kämpfen siegreich hervortreten, sind die Arbeiter- und Soldatenräte. [...] wir [fordern] einen schweizerischen Arbeiterrat, der direkt den Willen der klassenbewussten Arbeiter zum Ausdruck bringt, mit ihnen in ständigem Kontakt steht, indem er gebildet ist aus Arbeitern, die wir wählen an den Arbeitsstätten direkt aus den Betrieben. Dieser Arbeiterrat hat den Grosskampf zu führen auf Weisung der lokalen Arbeiterräte. Wir wollen uns endlich klar werden, wie es die Bourgeoisie längst ist, dass die kommenden Kämpfe einen anderen Charakter annehmen müssen, sollen sie zum Erfolge führen.50

Das Prinzip der Rätedemokratie wurde auch im Parteiprogramm verankert, das unter anderem von Kamerad Jakob Herzog, ebenfalls im Gefängnis, verfasst wurde:

Der Übergang von der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zum Kommunismus vollzieht sich unter der Diktatur des Proletariats. Zum Zweck der Sozialisierung der Produktionsmittel, sowie aller vorhandenen Bedarfsartikel, und der völligen Unterdrückung der Bourgeoisie ist die Zertrümmerung des ganzen bourgeoisen Staatsapparates durch die Errichtung einer revolutionären Regierung der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte notwendig, da der kapitalistische Staat nicht eine Zusammenfassung aller Klassen, sondern den besonderen Unterdrückungsapparat der Bourgeoisie bildet. Die Arbeiter können die bourgeoise Staatsmaschine nicht einfach übernehmen, sondern müssen dieselbe vernichten, weil die durch die Bourgeoisie gebildeten Unterdrückungsorgane, wie Militär (Offiziere), Bürokratie, politische Polizei und so weiter niemals dem Proletariat dienen können, weil sie in ihrer ganzen organisatorischen Struktur zur Bourgeoisie gehören.

Die ganze Schweiz wird vom arbeitenden Volk, in Form des Rätesystems regiert, die oberste revolutionäre Gewalt bildet der Rat der Volkskommissare, der durch den Kongress aller schweizerischen Räte seine Vollmachten erhält. Jede Stadt, jedes Dorf, jede Heereseinheit der proletarischen Armee wählt die Räte, die aus nur werktätigen Arbeitern und Bauern bestehen, direkt an den Stätten der Arbeit. Diese Wahlform ersetzt die Demokratie des Besitzes durch die Demokratie der Arbeit. Durch das Rätesystem wird die Arbeit direkt mit der Staatsexekutive verbunden, im Gegensatz zur alten kapitalistischen Organisation, die durch die Bürokratie den Besitz mit der bourgeoisen Regierungsgewalt verbindet. Jeder Kompromiss der Räte mit der Bourgeoisie setzt die Produktivität des Rätesystems herab und verwischt den reinen Klassencharakter desselben. Durch die Eigenschaft der Räte, als nicht nur gesetzgebende, sondern zugleich arbeitende Körperschaften, in denen die Spaltung in Legislative und Exekutive aufgehoben ist, verliert der Rat den Charakter eines reinen Parlaments.

Die Ergreifung der wirtschaftlichen Macht ist von der politischen Herrschaft des Proletariats untrennbar. Zu gleicher Zeit, da das Proletariat mittels der Rätegewalt die Bourgeoisie besiegt, muss die wirtschaftliche Macht des Bürgertums gebrochen werden.

[...]

Die Sozialisierung der industriellen Betriebe erfolgt durch Betriebsräte, die unter Zuhilfenahme von Fachleuten die gesamte industrielle Produktion organisieren. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Branchen liegt in den Händen des Kommissariats für Volkswirtschaft, das aus Arbeitern und Bauern besteht, und unter Hilfe von Fachmännern die Verteilung aller Produkte und deren Transport regelt.

Die landwirtschaftliche Produktion wird durch die, die Bourgeoisie von der Herrschaft verdrängenden Bauernräte, welche aus Kleinbauern und Bauernknechten gewählt werden, Hand in Hand mit der Arbeiterschaft der Industriegebiete geleitet. Die Bebauung des Bodens wird mit den neuesten technischen Mitteln durchgeführt. Mittels Güterzusammenlegung und durch gemeinschaftliche Arbeitsweise kann der Ertrag des Bodens erhöht und die Arbeitszeit verkürzt werden.

[...]

Um die Errungenschaften des Proletariats vor Angriffen der Gegenrevolution zu schützen, wird eine rote Armee gebildet, die unter dem Kommando der Soldatenräte steht.3

Wie sind solche Räte zu konstituieren? Gemäss dem Vorschlag der Partei:

Im Gegensatz zu den bourgeoisen Parlamenten, die ja rein politische Funktionen haben, umfassen die Arbeiterräte alle wirtschaftlichen und politischen Funktionen, die für das Proletariat zur Eroberung der Macht, zum Ausbau und Erhaltung der Macht, zur Übernahme und zum Weiterbetrieb der Volkswirtschaft notwendig sind. Die Arbeiterräte sind deshalb politisch und wirtschaftlich, sie überwachen das ganze Gefüge des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Sie sind das Parlament der Zukunft. Die Grundlage dieser proletarischen Räte bilden nicht politische oder geographische Bezirke, sondern die Wirtschaft, die Produktions- und Betriebsstätten. Die Wahlberechtigung hängt nicht vom Umfang des Geldbeutels ab, sondern von der Tätigkeit im Produktionsprozess. Wie in der Volkswirtschaft die Produktion von einzelnen Werkstätten und Betrieben ausgeht, die wieder in der Rohstoffversorgung mit der Urproduktion und im Betrieb der Halb- und Fertigfabrikate mit dem Verkehr und den Konsumorganisationen zusammenhängen und einander ergänzen, so müssen aus dieser Struktur heraus die Arbeiterräte sich erst in den Betrieben, den Produktionsstätten einrichten, von dort aus dann alle Zweige der Volkswirtschaft umspannen und zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfassen.

Die Grundlage der Arbeiterräte sind die Betriebsräte. Dieselben haben ihre Funktionen in den einzelnen Betrieben. Sie vertreten die Interessen der Arbeiter des Betriebes gegenüber dem Betriebsbesitzer. Die Betriebsräte haben danach zu trachten, einen Überblick und einen Einfluss auf die Produktion des Betriebes zu gewinnen, um dadurch die Arbeiterklasse zu befähigen, später die Betriebe zu übernehmen und die Produktion selbstständig weiterzuführen. In allen Betrieben der Industrie, des Verkehrs, des Handels und der Landwirtschaft mit über 20 Beschäftigten wird ein Betriebsrat gewählt. Betriebe unter 20 Beschäftigten schliessen sich bezirksweise zu Berufsgruppen zusammen und wählen für ihre Gruppe einen Betriebsrat. Diese Gruppen geben sich je nach den Verhältnissen eine Organisationsform, die es ermöglicht, alle Beschäftigte und Betriebe leicht zu erfassen. Wahlberechtigt und wählbar sind alle im Betrieb beschäftigten Lohnarbeiter. Die Wahl ist während der Arbeitszeit vorzunehmen und gilt für sechs Monate. Gewählte Räte können jederzeit von den Wählern abberufen und ersetzt werden. Die Räte halten ihre Sitzungen während der Arbeitszeit ab, erhalten für ihre Rätetätigkeit den gewöhnlichen Lohn und dürfen nicht gemassregelt werden.

Alle Branchen der Industrie, des Verkehrs und des Handels eines Ortes geben sich einen Branchenrat, der aus den Betrieben und Branchebezirken zu wählen ist. Betriebe von 20 bis 50 Arbeitern wählen eine/n Delegierte/n. Für 50 weitere Beschäftigte und einer Bruchzahl von 25 eine/ein weitere/r Delegierte/r. Die Berufe des Kleingewerbes und die Haushaltungen wählen auf je 50 Lohnarbeiter oder Lohnarbeiterinnen mit einer Bruchzahl von 25 eine/n Delegierte/n. Alle Branchenräte eines Ortes, wozu auch die nach demselben Schema gewählten Räte der freien Berufe [Akademiker, Künstler, Wissenschaftler und so weiter], der Bauern und Heereseinheiten gehören, bilden zusammen den örtlichen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat.

Die Branchenräte sind die Zusammenfassung aller Betriebe eines Industrie oder Gewerbezweiges. Ihre Aufgaben sind zum grössten Teil wirtschaftliche und kommen erst am Tage nach der Eroberung der politischen Macht recht eigentlich zur Geltung, indem sie die Produktion aller Betriebe ihrer Branche, sowie die Rohstoffzufuhr und Produktenabnahme zu überwachen haben.

Die Bauernknechte, Mägde und Kleinbauern, die keine fremden Arbeitskräfte ausbeuten, wählen in ihrer Gemeinde Delegierte in den Gemeindebauernrat. Ebenso wählen alle Heereseinheiten auf 20 Mann mit Ausschluss der Offiziere in ihrer Einheit eine/n Delegierte/n in den Einheitssoldatenrat.

Damit ein örtlicher Arbeiterrat lebensfähig ist, ist es notwendig, dass er bestimmte Funktionen hat. Seine Aufgabe ist, alle Massenaktionen zu leiten, die die gesamte örtliche Arbeiterschaft gegen das Kapital führen muss. Er hat deshalb gänzlich die sehr willkürlich und keineswegs vom Gesamtproletariat des Ortes zusammengesetzten Arbeiterunionen auszuschalten. Er muss sich immer mehr Rechte aneignen, die ihm ermöglichen, die Warenproduktion und den Warenvertrieb des Ortes zu überwachen und zu verwalten.

Wir schlagen vor, die Schweiz in drei [Produktionskreise] einzuteilen [...].

Alle Berufe und Branchen eines Kreises wählen einen Kreisbranchenrat. Alle Kreisbranchenräte bilden zusammen der Kreisarbeiterrat. Diese Räte werden direkt von der Lohnarbeiterschaft gewählt.

Der schweizerische Arbeiterrat besteht aus den schweizerischen Branchenräten, die aus der gesamten Industrie, dem Verkehr, dem Handel, der Landwirtschaft, den freien Berufen, Hausangestellten und Heereseinheiten gewählt sind. Der Kreis- und der schweizerische Arbeiterrat hat die Kreis- respektive die schweizerischen Aktionen der Abeiterklasse gegen das Kapital zu führen. Alle Massnahmen betreffend Lebensmittelproduktion und -vertrieb des Kreises und des Landes, die bis dato sehr unvollkommen die bürgerlichen Behörden trafen, müssen diese Räte übernehmen und weiterführen. Diese Rechte müssen durch Massenaktionen erkämpft werden.

Der Branchen-, Orts-, Kreis- und der schweizerische Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat gibt sich einen Vollzugsrat.

Über zwei Jahre dauert schon unsere Rätepropaganda, und noch ist es uns nicht gelungen, über einzelne zum Teil missglückte Versuche zur Einführung von Arbeiterräten hinauszukommen. Heute sind jedoch die Verhältnisse bedeutend günstiger. Die letzten zwei zusammengebrochenen Generalstreiks bewiesen den aufgeklärten Arbeitern, dass mit den bisherigen Kampf- und Organisationsformen nicht mehr weit zu kommen ist. Diese werbende Kraft, mit der das Rätesystem in aller Welt sich Geltung verschafft und Eingang findet, hat auch auf das schweizerische Proletariat eingewirkt. Überall hört man den Ruf, wie schaffen wir bei uns das Rätesystem, ohne Zertrümmerung der doch noch notwendigen Gewerkschaften und der Partei.

Gewerkschaften, Partei und Räte sind getrennte Körperschaften für sich, die jede ihre bestimmten Funktionen haben. Schaffen wir die Räte, so untergraben wir weder die Gewerkschaften noch die politische Partei, wir fassen nur alle proletarischen Schichten zusammen und stellen sie als Einheitsfront, dem immer brutaler und gewalttätiger werdenden Kapital entgegen. Bis jetzt versuchten die örtlichen Arbeiterunion diesen Konzentrationskörper zu werden. Aber weil die Unionen nur auf der sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften aufgebaut waren, gelang ihnen das nicht und wird ihnen, wenn sie diesen engen Kreis nicht sprengen, nie gelingen. Es gibt doch weite Schichten, wie die freien Berufe, die proletarischen Hausfrauen, die Arbeitslosen, die ja immer mehr eine ständig sich vergrössernde Masse werden, die Landarbeiter und Kleinbauern, die Soldaten und so weiter, die unmöglich gewerkschaftlich erfasst und deshalb nicht in der Union zur Geltung kommen können. Auch die sozialdemokratische Partei kann diesen Schichten keine entsprechende Vertretungsmöglichkeit garantieren, weil sie eben eine Partei ist, mit bestimmtem, teilweise überlebtem Programm, auf das sich niemals das Gesamtproletariat einigen kann.

Die Arbeiterunionen müssen so reorganisiert werden, dass sie zu proletarischen Parlamenten werden. Und das ist nur dadurch möglich, dass die Delegiertenwahlen sich nicht mehr in der sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften vollziehen, sondern dass das gesamte örtliche Proletariat von ihren Arbeitspläten die Delegierten in die Unionen wählen. Erst dadurch werden diese Körperschaften zu wirklichen, örtlichen Arbeiterräten. Diese örtlichen Räte schliessen sich zu einem schweizerischen Arbeiterrat zusammen, der dann das Gesamtproletariat der Schweiz vertritt. Der Name tut an der Sache keinen Abbruch, ob das Ding nun Union oder Arbeiterrat heisst, ist nicht das Wichtigste, die Hauptsache ist der Inhalt, das Wesen und die Grundlage, auf der diese Körperschaften aufgebaut sind. Die Aufgabe der Kommunistischen Partei, die auch als einzige Partei der Schweiz für die Schaffung des Rätesystems arbeitet, ist es dann, durch Ausnützung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in den Betrieben und überall, wo Lohnarbeiter vorhanden sind, mit einer systematischen, kommunistischen und revolutionären Propaganda einzusetzen, um in den Räten die Mehrheit der kommunistischen Delegierten zu erreichen.

Die kommunistische Partei Zürich hat, von diesen Grundsätzen ausgehend, bereits einen Vorstoss getan, indem sie alle ihre Mitglieder, die Unionsdelegierte sind, zu einer kommunistischen Unionsfraktion zusammenschloss, die folgenden Antrag in der Arbeiterunion stellte, der angenommen wurde:51

«Die alten Parteien und Gewerkschaften haben sich in der Person ihrer Führer für unfähig erwiesen, die von der neuen Epoche aufgestellten Aufgaben zu verstehen geschweige denn sie auszuführen. Das Proletariat schuf eine neue Form der Organisation, die die gesamte Arbeiterschaft umfasst, ungeachtet des Berufes und der politischen Reifen, einen elastischen Apparat, der fähig ist, sich immerwährend zu erneuern, zu erweitern, immer neue und neue Schichten in jene Sphäre hineinzuziehen, seine Türen den dem Proletariat nahestehenden arbeitenden Schichten der Stadt und des Dorfes zu öffnen. Diese unersetzliche Organisation der Selbstverwaltung der Arbeiterklasse, ihres Kampfes und in Zukunft auch der Eroberung der Staatsmacht (der Arbeiterrat) ist durch die Erfahrung verschiedener Länder erprobt und stellt die grösste Errungenschaft und die mächtigste Waffe des Proletariats unserer Zeit dar.»

Dieser Passus aus dem Programm der Dritten Internationale hat nicht nur auf die siegreichen und besiegten imperialistischen Grossstaaten Geltung, es gilt auch für die Schweiz, dem Vasallenstaat der Entente. Der Verlauf der Generalstreiks vom November 1918 und August 1919 beweist, dass unsere Organisations- und Kampfformen, sowie die Führer unfähig sind, die gewaltig gesteigerte und bis an die Zähne bewaffnete Macht der Bourgeoisie zu brechen, die seit Kriegsausbruch jede gesetzliche Legalität umgeht, das Asylrecht aufhob, hunderte von Proletariern und Vertrauensleute der Militärjustiz auslieferte und in die Gefängnisse warf. Die Fähigkeit der administrativen Polizei, die Bewaffnung von Söldnertruppen, die Entwaffnung der revolutionären sozialistischen Soldaten, die Organisierung und Bewaffnung von Bürgerwehren, die Arbeitermetzeleien in Zürich, Grenchen und Basel, beweisen, dass der Bürgerkrieg bei uns ebenso begonnen hat wie in Russland, Deutschland und Österreich. Hinter den reaktionären Behören, der Militärjustiz, der politischen Polizei und den Bürgerwehren steht das schweizerische Bankkapital, das gestützt auf seine mächtigen Schützer nun noch daran geht, ganze Städte und Gemeinden unter seine Vormundschaft zu nehmen, um so, nicht zufrieden mit der Ausbeutung der Produzenten und Konsumenten, auch die vermehrten direkten und indirekten Steuern in seine Tresors zu leiten. Diesem riesigen Auspoverungskoloss und Machtapparat gegenüber erweisen sich die heutigen Organisations- und Kampfformen des Proletariats zu schwach. Will es nicht ganz zermalmt werden, so muss es der konzentrierten Macht des Kapitals die konzentrierte Macht des gesamten Proletariats entgegen stellen. Diese Organisationsform ist das Rätesystem, welches alle Lohnarbeiter und -arbeiterinnen in Fabrik, Kontor, Hauswirtschaft, den Werkstätten, den Heereseinheiten und der Landwirtschaft erfasst und einheitlich in den Kampf wirft. Dadurch werden die Massenaktionen nicht mehr nur von einigen Berufsgruppen und schwankenden Führern, sondern vom Gesamtproletariat getragen.

Von diesen Erwägungen ausgehen, ist die Vorstände und Delegiertenversammlung mit dem sofortigen Aufbau des Rätesystems einverstanden und bestimmt eine Kommission, die die Vorarbeiten dazu zu treffen hat.51

Die Kommission wurde zur Mehrheit aus Kommunisten gewählt, und diese kommunistische Mehrheit stellt nun der Arbeiterunion als Produkt ihrer Beratungen den unten stehenden Antrag. Es muss noch beigefügt werden, dass bei dieser Gelegenheit die Linkssozialdemokraten sich wieder als das entpuppt haben, für was wir sie immer denunzierten, als revolutionäre Phrasendrescher, die mit dem Maul jederzeit für die Räte und alle revolutionär klingenden Beschlüsse grundsätzlich eintreten, (siehe auch ihre Haltung in der Ablehnung der Landesverteidigung und Revolutionierung der Armee) und sobald es zur praktischen Tat kommt, die Konsequenzen nicht zu ziehen wagen. Die Kommissionsminderheit, welche aus Linkssozialdemokraten besteht, wollen natürlich von unten stehendem Antrang nichts wissen, nur die Unionsstatuten etwas renovieren, wie es die Basler getan haben. Der Antrag der Kommissionsmehrheit zu Handen der Zürcher Arbeiterunion lautet:51

Die Arbeiterunion ist in einen Arbeiterrat umzuändern, dahingehend, dass die Delegierten nur aus den Betrieben gewählt werden.

  • Alle Betriebe mit über 50 Hand- und Kopfarbeitern wählen eine/n Delegierte/n, auf weitere 50 und einen Bruchteil von 25 Beschäftigten entfällt eine/ein Delegierte/r.
  • Die Betriebe mit weniger als 50 Hand- und Kopfarbeitern schliessen sich kreis- und branchenweise zusammen und wählen die Delegierten in Kreisversammlungen nach obigem Wahlmodus. Alle 1/2 Jahre finden Neuwahlen statt. Die Delegierten können jederzeit von den Wählern abberufen werden.
  • Die Heimarbeiter, die freien Berufe, die proletarischen Hausfrauen und die Arbeitslosen wählen nach Wahlmodus 2.
  • Wahlberechtigt sind alle Lohnarbeiter ohne Altersgrenze. Nicht wahlberechtigt sind Menschen, die fremde Arbeitskraft ausbeuten.

Die Aufgaben des Arbeiterrates sind:

  • Die proletarischen Massen zusammenzufassen zu einer einheitlichen Kampffront gegen das vereinigte Ausbeutertum und seinen Diktatur-Ausführungsapparat, den Bourgeoisie-Staat.
  • Auslösung, Leitung und Druchführung aller örtlichen Massenaktionen.
  • Überwachung der Produktion und Konsumtion durch Organisierung von Betriebsräten.
  • Engste Verbindung mit den proletarischen Massen der anderen Landesteile und der Internationale.

Vorbehalten ist, dass die Aufstellung von besonderen Leitsätzen über die praktische Durchführung der obigen Aufgaben Sache des zu Stande gekommenen Arbeiterrates ist.51

Der Kampf um die Räte aber muss auf der ganzen Front aufgenommen werden. Der Zentralvorstand der Kommunistischen Partei der Schweiz hat den Sektionen und Gruppen bereits diesbezügliche Informationen gegeben. Die Sektionen Luzern, Winterthur, Basel und Bern haben die Vorarbeiten getroffen, um in ihren örtlichen Unionen nach den Leitsätzen der Zürcher Kommunisten, die der Zentralvorstand zu seinen eigenen gemacht hat, und als Diskussionsgrundlage dem nächsten Parteitag der Kommunistischen Partei der Schweiz unterbreitet, vorzugehen. Es handelt sich nun darum von der Propaganda zur Tat zu schreiten, und nicht eher zu ruhen, bis wir das gesteckte Ziel erreicht und erkämpft haben.51

Im Parteimanifest erläutert Kameradin Kascher weiter die Vorteile solcher Räte:

Der grosse Vorteil dieses neuen Kampfmittels, der Arbeiterräte, besteht darin, dass sie von der Bourgeoisie nicht tot gemacht werden können und jederzeit, ohne lange und grosse Reklame die Massen von heute auf morgen, zu jeder Stunde in Bewegung setzen können. Beschliesst ein Arbeiterrat in der Nacht eine Aktion, so können die Delegierten am Morgen in den Betrieben die Arbeiter und Arbeiterinnen von den gefassten Beschlüssen benachrichtigen und diese danach handeln. Der Wille zum Kampf ist freilich die erste Bedingung für das Gedeihen des neuen Kampfmittels. Es steht und fällt mit ihm! Handelt andererseits der/die Betriebs- oder Bezirksdelegierte nicht nach dem Willen der arbeitenden Wähler, so kann er/sie sofort abberufen und durch eine/n andere/n im Betriebe beschäftigte/n ersetzt werden. Nur in den Betrieben und Fabriken selbst Arbeitende sind zu delegieren, keine Sekretäre oder sonstige von Partei und Gewerkschaften angestellte Beamte. Weg von den Instanzen, die sollen nur administrative Funktionen besitzen. Der/die immer inmitten seine/r Genossen und Genossinnen beschäftigte Arbeiter/in kennt am besten, was ihnen not tut. Ein so konstituierter Rat muss produktiv sein und kann nicht zum Schweigen gebracht werden. Verhaftet eine Regierung ein Mitglied oder den ganzen Rat, so wählen die Arbeiter einen neuen.50

Solche Räte sind unter allen arbeitenden Menschen zu bilden, nicht nur unter Arbeitern, Soldaten und Bauern, das heisst, sie sind unter allen Menschen zu bilden, die weder Ausbeuter noch aktive Konterrevolutionäre sind. Auf lokaler Ebene sind in den Betrieben, Quartieren, Dörfern, Militäreinheiten, Schulen und anderen Einrichtungen Abgeordnetenräte der arbeitenden Bevölkerung zu wählen. Diese Räte wiederum wählen die Gebietsräte, die sowohl städtische als auch ländliche Gebiete regieren, das heisst, die kommenden Kommunen, die Verwaltungseinheiten sind, die städtische und ländliche Gebiete, Industrie und Landwirtschaft und Arbeiter und Bauern miteinander verbinden und die in wirtschaftlicher, politischer, kultureller, bildungspolitischer, gesundheitlicher und militärischer Hinsicht grundsätzlich selbstversorgend sind — die Grundeinheit der künftigen kommunistischen Gesellschaft. Die Gebiets- oder Kommunalräte wählen dann die Regionalräte für die verschiedenen nationalen Regionen, die wiederum den Obersten Rat wählen, der das ganze Land regieren soll.

Die Abgeordneten der Räte werden auf Kongressen der arbeitenden Bevölkerung gewählt, die auch Beschlüsse, Pläne und Resolutionen verabschieden, in deren Rahmen die Räte arbeiten müssen, wenn die Abgeordneten nicht durch das Volk abberufen werden wollen. Die Abgeordneten erhalten den Mindestlohn und keine besonderen materiellen Privilegien.

Die Räte regeln nicht nur die politische Verwaltung der Gesellschaft, sondern auch die Leitung der sozialistischen Planwirtschaft. Die Räte der unteren Ebene praktizieren Arbeiterselbstverwaltung im Rahmen der von den übergeordneten Räten beschlossenen allgemeinen Wirtschaftspläne. Die Räte sind keine rein parlamentarischen Gremien, da sie sowohl Beschlüsse fassen als auch diese durch ihre verschiedenen Kommissionen ausführen, die nur aus gewählten Ratsmitgliedern bestehen. Die Beschlüsse der Räte werden von den Basisorganisationen der arbeitenden Bevölkerung umgesetzt und von der Volksmiliz vollstreckt. Schliesslich leiten die Räte die Volksgerichte, deren letzte Instanz eine demokratische Geschworenenjury ist, die aus der schaffenden Bevölkerung im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Rates zufällig ausgewählt wird. Auf diese Weise wird das gesamte bourgeoise scheinparlamentarische System abgeschafft, und es entsteht das proletarische System der Rätedemokratie.

Wie kann dieses System der Rätedemokratie entstehen? Nur durch revolutionäre Massenaktionen. Es ist die arbeitende Bevölkerung, und nur sie allein, die diese Abgeordnetenräte schaffen kann — die Kommunisten können lediglich ihre Bemühungen zu diesem Zweck anführen. Die Räte entstehen allmählich, Schritt für Schritt, von der lokalen bis zur nationalen Ebene, im Laufe eines langandauernden Prozesses. Zunächst sind sie einfache Widerstandszentren oder Basiskoordinationen, die entweder die Bemühungen der schaffenden Bevölkerung an einem bestimmten Ort koordinieren oder die Arbeit ihrer Basisorganisationen an diesem Ort koordinieren. Dann entwickeln sie sich zu Kampfkomitees, die einen echten politischen Einfluss auf die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung an einem bestimmten Ort ausüben können. Wenn sie ihre Beschlüsse und Entscheidungen durchsetzen können, werden sie schliesslich zu Organen politischer Macht, zu einem neuen Staat der arbeitenden Bevölkerung — Rätemacht im eigentlichen Sinne des Wortes. Spätestens dann wird der alte kapitalistische Staat den Kampf aufnehmen, um die Macht der Räte mit allen Mitteln zu brechen, und die Räte müssen mit Gewalt verteidigt werden, und zwar nicht nur durch revolutionäre Massenaktionen, sondern auch durch einen Partisanenkrieg einer Roten Armee, die in Soldatenräten organisiert ist und von der Kommunistischen Partei zur Verteidigung der politischen Macht des Volkes befehligt wird. So beginnt die Periode des langandauernden Klassenkrieges, der ein unvermeidliches und notwendiges Übel ist, dass das arbeitende Volk durchmachen muss, bevor es die Räterepublik und das sozialistische sozioökonomische System festigen kann, das selbst nur eine Übergangsperiode ist, ein ununterbrochener revolutionärer Prozess, zwischen Kapitalismus und Kommunismus, zwischen der profitorientierten Wirtschaft und der bedürfnisorientierten Wirtschaft, zwischen Klassengesellschaft und klassenloser Gesellschaft. Wie die Partei einst erklärte:

[...] Und schliesslich kann faktisch nicht erwartet werden, dass die Arbeiterklasse eines Landes, die Prometheus-artig mittels bourgeois-parlamentarischen Keilen an den kapitalistischen Staat gefesselt war, in einem Ruck sich diesen Fesseln entledige, die Bourgeoisie der Städte und der Provinz niederwerfe und die eigene Herrschaft errichte. Karl Marx hat uns viel zu klar die Stärken und Schwächen des revolutionären Proletariats aufgezeigt, als dass wir uns in solche Illusionen verlieren dürfen. Die Arbeiterklasse packt ihren Gegner in der Revolution mit ungestürmter Kraft, schmettert ihn einmal nieder um ihm die Kraft zu zeigen, lässt ihn jedoch wieder aufstehen, lässt sich dann momentan noch mehr als bisher malträtieren, übt während dieser Zeit schärfste Selbstkritik, um ihn dann noch wuchtiger zu Boden zu «legen». Dieser Prozess wiederholt sich bis zur letzten, endgültigen Abrechnung: Dem Klassenkrieg, in dem sie ihn nicht nur endgültig niederwirft, sondern direkt zerstampft. «Pulvergeschwärzt und blutbespritzt» so geht das Proletariat tatsächlich aus der letzten Abrechnung hervor.52

Das ist der Weg zur Rätedemokratie in der Schweiz. Dieser Weg wurde vor mehr als einem Jahrhundert von den Schweizer Kommunisten unter der Führung von Jakob Herzog eingeschlagen, der mit Lenin zusammenarbeitete, als dieser in Zürich lebte, ehe er die Grosse Sozialistische Novemberrevolution anführte, und der selbst von Lenin und der Novemberrevolution lernte, wie man die politische Macht für die schaffende Bevölkerung erobert. Heute hat eine neue Generation von Schweizer Kommunisten diesen Weg — durch die Arbeit für die Rekonstituierung der Kommunistischen Partei in der Schweiz — wieder aufgenommen, mit der Absicht, diesen Weg bis zum Schluss zu beschreiten: über den Kapitalismus, durch den Sozialismus und bis zur Verwirklichung einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft auf der ganzen Welt.

Aber die Schweizer Kommunisten sind nicht die einzigen, die diesen Weg gewählt haben. Heute ist die Rätedemokratie für hunderttausende von Menschen in Indien Realität, die unter der Führung einer echten marxistisch-leninistisch-maoistischen Kommunistischen Partei einen revolutionären Volkskrieg führen, wo Abgeordnetenräte der arbeitenden Bevölkerung — auch wenn sie unterschiedliche Namen und Formen haben — allmählich zum vorherrschenden Regierungssystem in der befreiten Volksrepublik werden, die durch diesen bewaffneten Kampf geschmiedet wird. Unser Kampf ist eng mit demjenigen unserer Kameraden und Genossen auf der ganzen Welt verbunden — nicht nur, weil wir die Ideologie der Arbeiterklasse teilen, sondern auch, weil die kapitalistischen Parasiten, die ihr Blut saugen und versuchen, ihre revolutionären Kämpfe darin zu ertränken, unter anderem hier in der Schweiz leben und auch. seitdem sie vor rund 200 Jahren zusammen mit der modernen Schweizer Gesellschaft entstanden sind, unser Blut saugen. Die proletarisch-sozialistische Weltrevolution ist keine Parole, sondern eine unbestreitbare Tatsache, auch wenn man uns noch so sehr die Lügen auftischt, dass «wir Schweizer reich sind», dass «das politische System der Schweiz stabil ist», dass «die Schweizer mit der Regierung zufrieden sind», und so weiter bis zum geht nicht mehr. Wir Schweizer Kommunisten lassen uns von dieser Propaganda nicht täuschen — wir sind proletarische Internationalisten, und das waren wir schon immer:

Damit ist die Frage der Weltrevolution für die Schweiz entschieden.

Eine Revolution in der Schweiz wird ein Glied der Weltrevolution sein.

Der Kampf gegen die besitzende Klasse der Schweiz ist zugleich ein Kampf gegen den Ententeimperialismus, gegen die Weltreaktion.

Die Schweiz ist ökonomisch abhängig vom Ausland. Eine Revolution ist daher nur möglich, wenn wir revolutionäre Verbündete haben, die uns in wirtchaftlicher Beziehung helfen.

Eine Revolution aber muss vorbereitet werden. Die Hauptsache ist, dass wir nicht hintennach hinken. Die wirtschaftlichen Grundursachen der internationalen Revolution werden auch die Schweiz erfassen. Die Krise wird auch für die Schweiz kommen, und die Arbeiterklasse auf ihre grossen Aufgaben hinweisen. Sie zu schulen und aufzurütteln, das ist die Aufgabe der Kommunistischen Partei.53

Heute steht in der Schweiz der Wahlboykott auf der Tagesordnung. Morgen: die Helvetische Räterepublik. Übermorgen: die Weltunion der Räterepubliken, die bereits in den revolutionären Kämpfen der Unterdrückten überall Gestalt annimmt. In diesem grossen Kampf um die Zukunft der Menschheit sollten wir als Schweizer immer daran denken, dass wir trotz der geringen Grösse unseres Landes und seiner Bevölkerung eine wichtige Rolle zu spielen haben. In den weisen Worten von Friedrich Engels: «Die kleinen Länder, wie [...] die Schweiz, sind die modernen politischen Laboratorien, die Versuchsfelder, wo man die Erfahrungen sammelt, die später in den grossen Staaten angewandt werden. Sehr oft geht gerade von diesen kleinen Ländern der erste Anstoss zu einer Bewegung aus, die bestimmt ist, Europa zu erschüttern.»54

#WEG MIT DEM SCHEINPARLAMENTARISMUS! KÄMPFT FÜR DIE RÄTEDEMOKRATIE!
#WEG MIT DER NATIONALEN EINHEITSREGIERUNG! KÄMPFT FÜR EINE REGIERUNG DER SCHAFFENDEN BEVÖLKERUNG!
#TOD DER KAPITALISTISCHEN REPUBLIK! ES LEBE DER KAMPF FÜR DIE RÄTEREPUBLIK!
#DIE WAHLBOYKOTTKAMPAGNE DIENT DER REKONSTITUIERUNG DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI!
#LERNT VON JAKOB HERZOG!
#ES LEBE DIE WELTREVOLUTION!
#Zentralvorstand der Kommunistische Partei in der Schweiz (PCS-KPS)
#1. Oktober 2023

  1. Nikolaj Lenin: Über den Staat (11. Juli 1919) 

  2. Leonie Kascher: Über die Schweiz (2. März 1919) 

  3. Jakob Herzog: Programm der Kommunistischen Partei der Schweiz (Zwischen November 1918 und Mai 1919) 

  4. Unsere Partei verwendet den Begriff «Totalismus» im Gegensatz zum Begriff «Faschismus», der allgemein in der internationalen kommunistischen Bewegung verwendet wird. Die Bedeutung ist dieselbe. Der Unterschied in der Terminologie ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Faschismus in Wahrheit eher ein historisches Phänomen des 20. Jahrhunderts ist, da sich die heutigen Faschisten auf ganz andere philosophische Konzepte stützen, um ihre totalistische Politik zu rechtfertigen. Der Begriff «Totalismus» hingegen drückt besser das Wesen eines solchen Regierungssystems aus, nämlich die Ersetzung des Parlamentarismus durch Absolutismus, Korporatismus oder andere Herrschaftsmethoden, die den im 18. Jahrhundert in Frankreich entwickelten liberal-demokratischen Ideen grundsätzlich entgegenstehen; Darüber hinaus hat Benito Mussolini berühmt gesagt, dass in einer faschistischen Gesellschaft alles im, durch und für den Staat geschieht, was eine andere Art ist, die Totalität oder den allumfassenden Charakter des Staates zu beschreiben, den Faschisten anstreben. Wir sind daher der Meinung, dass der Begriff «Totalismus» passender ist. 

  5. Nikolaj Lenin: Schutz der Neutralität (Januar 1917) 

  6. Der Klarheit halber betonen wir, dass wir mit «Militarisierung der Gesellschaft» und «Militarismus» nicht die buchstäbliche Ausdehnung der militärischen Disziplin auf alle Mitglieder der Gesellschaft meinen, sondern vielmehr die Stärkung der repressiven Kräfte (Armee und Polizei), ihre verstärkte Bewaffnung und die Verallgemeinerung ihrer Reichweite sowie die Verallgemeinerung von Überwachung und Repression in der Gesellschaft. 

  7. Siehe Gonzalos Artikel vom November 1999, Über die Frage der Globalisierung, in dem er auf folgendes hinweist: «Die Globalisierung ist nichts weniger als die grösste Vergesellschaftung der Produktion in der Weltgeschichte und folglich die tiefste und breiteste imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung der Völker und Nationalitäten, hauptsächlich zum Vorteil des US-Imperialismus.» 

  8. Vor dem imperialistischen Ersten Weltkrieg war Liechtenstein ein unabhängiger Staat, obwohl das Land eng mit dem österreichisch-ungarischen Reich verbunden war. Nach der Niederlage Österreichs in diesem Krieg schloss Liechtenstein Unionsverträge mit der Schweiz ab, in dem die beiden Länder eine gemeinsame Verteidigung, eine gemeinsame Währung, gemeinsame Zölle und ähnliche Massnahmen vereinbarten. Liechtenstein steht unter dem militärischen Schutz der Schweizer Armee, da es keine eigenen Streitkräfte hat, und seine Polizei wird in der Schweiz ausgebildet. Es verwendet den Schweizer Franken als einzige Währung, seine staatlichen Ausweise werden in Bern gedruckt, und die Massnahmen der liechtensteinischen Regierung zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie waren Teil der Massnahmen der Schweizer Regierung und wurden ausschliesslich in Bern entwickelt. In jeder Hinsicht ist Liechtenstein Teil des Schweizer Staates und dient eigentlich nur als indirektes Mittel, mit dem die Schweiz weiterhin ihre begehrten «Dienste» als Steueroase und Geldwaschanlage für ausländische imperialistische Unternehmen anbieten kann, während sie sich jeder rechtlichen Verantwortung für diese Aktivitäten entzieht. Ausserdem gehören die Liechtensteiner der alemannischen Nationalität an, die eine der vier Hauptnationalitäten der Schweiz ist, und eine grosse Anzahl Liechtensteiner Arbeiter sind Schweizer, die tagsüber ins Fürstentum pendeln. Aus diesem Grund vertritt unsere Partei in der Liechtenstein Frage den Standpunkt, dass es sich bei Liechtenstein um ein reaktionäres, bourgeoises Steuerparadies handelt, das von einem reaktionären absoluten Monarchen regiert wird und in die künftige Helvetische Räterepublik aufzulösen ist. 

  9. Friedrich Engels: Der Schweizer Bürgerkrieg (Um den 10. November 1847) 

  10. Nikolaj Lenin: Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus (Oktober 1916) 

  11. Klaus von Beyme: Neo-Korporatismus: Neuer Wein in alten Schläuchen? 

  12. Daniel Oesch: Weniger Koordinierung, mehr Markt? (2007) 

  13. Siehe Gonzalos zwei Werke Interview aus dem Untergrund (14. und 15. Juli 1988) und Möge das strategische Gleichgewicht das Land noch mehr erschüttern! (November 1991). Im letzteren der beiden Werke schreibt er: «Die Hinterfragung des Parlaments ist ein grundlegend faschistischer Standpunkt, der die traditionelle, bourgeois-demokratische Staatsstruktur ins Visier nimmt. Dieser Standpunkt beruht auf der Negierung der Prinzipien, Freiheiten und Rechten, die im 18. Jahrhundert festgelegt wurden, er fordert korporative Organisationen und maximiert reaktionäre Gewalt. All das dient der zügellosesten Klassendiktatur der Bourgeoisie (in unserem Fall der Grossbourgeoisie) und des Imperialismus. In der Geschichte ist der Faschismus häufiger in Phasen aufgetreten, die für den alten Staat kritisch sind, vor allem dann, wenn die Revolution die veraltete Herrschaftsordnung zu stürzen droht. Doch seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Faschismus sich oder seine Absicht, die Gesellschaft zu korporatisieren, nicht offen beim Namen nennen können, trotz seinen vielen Versuchen und ‹Theorisierungen› wie ‹demokratischen Korporatismus›, ‹Direktdemokratie›, ‹Sozialdemokratie› und so weiter, und so fort. [...] Die alte Gesellschaft erschafft den Faschismus als eine Form ihres Reaktionärwerdens (was nicht die einzige Form ist, die andere Form ist die reaktionäre Entwicklung des bourgeois-demokratischen Parlamentssystems selbst, wie in den Vereinigten Staaten, England, Frankreich und gewissen anderen europäischen Ländern), vor allem als Waffe, wenn die Revolution droht, die alte Gesellschaft zu zerschlagen.» «Das erlaubt uns, zwischen dem Reaktionärwerden zu unterscheiden, die die bürokratische Bourgeoisie durchführt (Korporatisierung auf der Grundlage organisierter Teilnahme in Verbänden und Institutionen), und der, die die Kompradorenbourgeoisie durchführt. Letztere verfolgt keine Korporatisierung, sondern die Stärkung der Präsidialmacht als Achse der Exekutive, was der wirtschaftlichen Macht der Monopolkapitalisten (besonders des Imperialismus) erlaubt, die legislativen und administrativen Staatsfunktionen direkt auszuüben. Das hat eine absolute Konzentration der Gewalten zum Ziel, denn offensichtlich führt es zu immer grösseren Einschränkungen der Macht der Legislative und der Bürokratie. Beide dieser Strömungen untergraben die traditionellen, bourgeoisen-demokratischen Staatsstrukturen und dessen Gewaltenteilung.» 

  14. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009931/2007-08-06/ 

  15. Benito Mussolini und Giovanni Gentile: Der Geist des Faschismus (1932) 

  16. Alles, was die Kapitalisten tun müssen, um ein totalistisches Regierungssystem in der Schweiz rechtlich durchzusetzen, ist die Wahl eines/einer General/in, das heisst eines/einer Militärdiktator/in, und die Ausschaltung des Parlaments unter Berufung auf die Vollmachten des Bundesrates. Historisch gesehen waren die beiden im 20. Jahrhundert gewählten Generäle, Ulrich Wille-Bismarck und Henri Guisan, totalistische Militärdiktatoren, die während ihrer jeweiligen Amtszeit nicht nur die militärische, sondern auch die politische Macht übernahmen. Was die Notstandsbefugnisse betrifft, so wurden sie zuletzt in diesem Jahr angewandt, um die Fusion der beiden globalisierten Monopolbanken Credit Suisse und UBS gegen den Willen des Parlaments durchzusetzen und damit die Bereitschaft der Kapitalisten zu demonstrieren, von ihren totalistischen Vollmachten Gebrauch zu machen. 

  17. Dieser Entzug des Wahlrechts, der auf den Entzug von 25,3% der Bevölkerung aus rein ethnischen Gründen hinausläuft, ist in Wirklichkeit eine Art Apartheidgesetzgebung. Im Rahmen des Apartheidsystems, das früher in den Vereinigten Staaten, in Azanien (Südafrika), Zimbabwe (Rhodesien) und anderen Ländern sowie heute in Palästina (Israel) herrschte beziehungsweise herrscht, wurden weite Teile der Bevölkerung, die unterdrückten Nationalitäten angehörten, entrechtet, um ihnen Extraprofite zu entlocken, ohne ihnen irgendeinen politischen Einfluss zu ermöglichen. Anders als das gängige Verständnis von Apartheid, das im Wesentlichen auf die Trennung oder Segregation im öffentlichen Leben hinausläuft, ist der wirtschaftliche Kern des Systems in Wirklichkeit die interne Kolonisierung unterdrückter Nationalitäten, was eine besondere Expertise des Schweizer Imperialismus ist. Lenin merkte einst an: «Das Spezifische des Imperialismus in der Schweiz besteht eben in der wachsenden Ausbeutung der rechtlosen ausländischen Arbeiter durch die schweizerische Bourgeoisie, die ihre Hoffnungen auf die Entfremdung dieser zwei Kategorien von Proletariern setzt.» (Die Aufgaben der Linksradikalen (oder der linken Zimmerwaldisten) in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Oktober-November 1916). Dies ist auf die Besonderheit des Schweizer Imperialismus als Land ohne eigene Kolonien im Ausland zurückzuführen. So wurden und werden hierzulande nicht nur migrantische Arbeiter, sondern auch sehr «schweizerische» Bevölkerungsgruppen wie die Rätoromanen, Jurassier, Jenischen, Roma und Juden unter diesem Apartheid-ähnlichen System entrechtet, diskriminiert, unterdrückt oder extraausgebeutet. 

  18. Mao Zedong: Probleme des Krieges, der Strategie und der Einheitsfront (5. und 6. November 1938) 

  19. rotepresse.noblogs.org/klassenstandpunkt-14/ 

  20. Nikolaj Lenin: «Kommunismus» (12. Juni 1920) 

  21. Nikolaj Lenin: Über den Boykott (25. August 1906) 

  22. Gonzalo, Norah und Miriam: Diskussionsbasis für die Allgemeine Politische Linie der Kommunistischen Partei Perus (September 1987) 

  23. Mao Zedong: Über den langandauernden Krieg (Mai-Juni 1938) 

  24. Mao Zedong und andere: Probleme des Partisanenkriegs gegen die japanische Aggression (Mai 1938) 

  25. Gonzalo: Bezüglich des Dokuments «Über den Marxismus-Leninismus-Maoismus» (Februar 1988) 

  26. Lin Biao: Es lebe der Sieg im Volkskrieg! (Vor dem 3. September 1965) 

  27. Gonzalo: Interview aus dem Untergrund (14. und 15. Juli 1988) 

  28. Mao Zedong: Über den demokratischen Zentralismus (30. Januar 1962) 

  29. Zentrale Führung des Komitees Rote Fahne: Die allgemeine konterrevolutionäre Offensive, der Individualismus und die Kommunisten (November 2019) 

  30. Karl Marx: Das Kapital, Erster Band (Vor September 1867) 

  31. Mao Zedong: Über den dialektischen Materialismus (Juli-August 1937) 

  32. Wenn der Mann, den die Mitglieder des «Komitees Rote Fahne» unironisch «Chef» nennen, zu sehr damit beschäftigt ist, seine Garderobe von seinen Untergebenen ordnen zu lassen, kann er diese Aufgabe gerne an seinen «CEO» in Brasilien, den «Vorsitzenden» Geronimo, outsourcen. 

  33. Gonzalo: Ergreift und kämpft für die neue grosse Entscheidung und Definition (Oktober 1993) 

  34. Gonzalo: Über 150 Jahre der proletarischen Weltrevolution (Dezember 1994) 

  35. Gonzalo: Die Rede aus dem Käfig (24. September 1992) 

  36. Nikolaj Lenin: Brief an die österreichischen Kommunisten (15. August, 1920) 

  37. Nikolaj Lenin: Der Boykott der Bulyginschen Duma und der Aufstand (Vor dem 16. August 1905) 

  38. Nikolaj Lenin: Der «linke» Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus (April-Mai 1920) 

  39. Gonzalo: Bezüglich der Einheit der internationalen kommunistischen Bewegung und der gemeinsamen Erklärung von 13 marxistisch-leninistischen Parteien und Organisation (Juli 1981) 

  40. Für die Bedeutung des Begriffs Rekonstitution siehe das Dokument Thesen zur Parteikonstitution und -rekonstitution, veröffentlicht auf the-red-flag.org / redflagswitzerland.wordpress.com am 25. Mai 2023. 

  41. Jakob Herzog: Über den Parlamentarismus (2. August 1920) 

  42. Parlamentarismus und die Kommunistische Partei der Schweiz (2. März 1920) 

  43. Nikolaj Lenin: Die Aufgaben der Linksradikalen (oder der linken Zimmerwaldisten) in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (Oktober-November 1916) 

  44. Die Kommunisten und das Arbeitszeitgesetz (5. Oktober 1920) 

  45. Nikolaj Lenin: Das Proletariat kämpft, die Bourgeoisie schleicht sich an die Macht (Vor dem 2. August 1905) 

  46. Die Gleichberechtigung der Proletarierin und das Wahlrecht (2. März 1920) 

  47. Die schweizerische Schwindeldemokratie (April 1921) 

  48. Wir fordern die sofortige Wahl von Arbeiterräten (30. Januar 1920) 

  49. Die proletarische Demokratie (30. Januar 1920) 

  50. Leonie Kascher: Manifest der Kommunistischen Partei der Schweiz (November 1918) 

  51. Aufbau der proletarischen Räte in der Schweiz (2. März 1920) 

  52. Über den November-Generalstreik (November 1918) 

  53. Die Schweiz und die Weltrevolution (2. Dezember 1920) 

  54. Friedrich Engels: Briefentwurf an Emile Vandervelde (Nach dem 21. Oktober 1891)